: Hanna zwischen den Spiegeln
VIDEO Hanna Schygullas „Traumprotokolle“ in der Berliner Akademie der Künste
VON KATRIN BETTINA MÜLLER
Es gelingt nicht vielen Menschen in ihrem Leben, wenn sie einmal über sechzig Jahre alt geworden sind, zu einer Weichenstellung aus früheren Jahren zurückzukehren und einen anderen Weg als den bisher gegangenen zu wählen. Die Schauspielerin Hanna Schygulla wagt das mit ihrer Videoinstallation „Traumprotokolle“ in der Akademie der Künste. Die stammt aus einem Abschnitt ihres Lebens, da hätte sie, die längst eine berühmte Schauspielerin war, einen Neuanfang in der Konzept- und Performancekunst machen können. Doch stattdessen blieben die Kurzfilme, die sie 1979 allein mit einer Videokamera drehte, jahrzehntelang in einem Koffer verschlossen.
Erst vor etwas mehr als zehn Jahren entschied sie sich, das Material doch hervorzuholen, zu bearbeiten und um neue Kurzfilme zu ergänzen. Sie bieten nun alle zusammen das Protokoll einer Selbstbefragung, ein erstauntes Kreisen um das, was „ich“ sagt und sich dabei doch nie sicher ist, was dieses „Ich“ eigentlich ausmacht.
Transparente Leinwände hängen mitten im Raum in den fensterlosen Räumen der Akademie am Pariser Platz. Von beiden Seiten sind die Projektionen zu sehen und noch einmal als schwaches Nachbild auf der Wand dahinter. Schon dass man auf die Bilder schauen kann und durch sie hindurch, erhöht ihr Merkmal des Flüchtigen. Nur als Schatten vor einem geöffneten Fenster ist Schygulla im ersten Film zu sehen, mit vorsichtigen Bewegungen die Luft abtastend und mit ihrer sanften Stimme flüsternd: „Dich habe ich hinter mir. Du bist ja von gestern. Du bist ja gewesen.“
Ton (über Kopfhörer) und Bild sind bei den meisten Videos voneinander getrennt, man kann die Bilder auch stumm betrachten: wie sie mit Fassbinder tanzt; wie ihre nervösen Hände in einer Plastiktüte nach einer Puppe wühlen; wie sie rennt, nackt und sich verausgabend; wie sie mit einer Hand ihre Schulter schlägt und schließlich immer wieder der Blick in den Spiegel und dazwischengeschnitten Fahndungsfotos der Roten Armee Fraktion.
Allein schon diese Gesten des Sichauslieferns und der Erkundung von körperlichen Grenzen rufen die siebziger Jahre in Erinnerung, eine Hochzeit von feministischer Kunst und Performance, einer schnörkellosen Erkundung des ungeschönten Körpers, ein versuchtes Herauslösen des Subjekts aus allen sozialen Konstruktionen.
Setzt man die Kopfhörer auf, legen sich Satzfetzen und Musik über die Bilder, und durch kurze erzählte Träume entstehen surreale Verkettungen: vom toten Kind, das sie in der Handtasche findet; vom Tag, an dem sie exekutiert werden soll und dann doch den Geliebten im Offizier erkennt; vom Auftritt als „neue Hanna“, die vergessen hat, was sie dem Publikum zeigen will.
Auf der Höhe des Ruhms
Hanna Schygulla hat diese Filme auf einem Künstlerhof gedreht, auf dem sie schon länger wohnte; Freunde erklärten ihr die Handhabung der Technik. Eigentlich hatte sie zu der Zeit mit Rainer Werner Fassbinder ihren nächsten Film, über die Künstlerin Unica Zürn, machen wollen. Aber dann entwickelten sich die Dinge für Fassbinder in eine andere Richtung und sie, alleingelassen, versuchte etwas Eigenes als Schauspielerin und Autorin. Das blieb jahrelang ein unveröffentlichtes Zwischenspiel, obwohl man ihr damals, auf der Höhe ihres Ruhms nach Fassbinders Filmen „Die Ehe der Maria Braun“ und „Lili Marleen“, sicher alles abgenommen hätte.
2005 widmete ihr das MoMA in New York eine Ausstellung; da zeigte sie erstmals die alten Kurzfilme und drehte einen neuen auf den Kanälen unter der Stadt. In diesem „Traumtunnel“ fragt sie sich etwas prätentiös, ob man, wenn Jugend und Schönheit vorbei sind, noch einmal einen neuen Blick auf das eigene Leben gewinnen kann. Und in „Hanna Hannah“, 2007 entstanden, fragt sie sich, warum ihre Mutter ihr 1943 einen jüdisch klingenden Namen gab – und weshalb sie die Mutter so wenig danach gefragt hat. Es ist ein emphatischer Versuch, sich mit dem Ungesagten zu verlinken, sich mit der Geschichte zu verbinden. „Mama“, hört man die Stimme eines Kindes zwischen den Stelen des Holocaustmahnmals neben dem Pariser Platz fragen, „ist das Berlin?“ „Ja, das ist Berlin“, antwortet die Mutter. Aber so lapidar, wie dieses Annehmen der Geschichte ist, ist „Hanna Hannah“ nicht, sondern doch eher bemüht, Anteilnahme herzustellen. Das Unbefangene der alten Filme haben die neuen, kunstvollen nicht mehr.
■ „Traumprotokolle“, Akademie der Künste am Pariser Platz, Di.–So. 11–19 Uhr, bis 30. März
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