Der Pragmatiker

Raúl Castro gilt als langweilig. Doch im Wirtschaftsleben Kubas ist er die bestimmende Figur und baute für das Militär eigene Fabriken auf

BERLIN taz ■ Verteidigungsminister Raúl Castro hat am Montag die Macht in Havanna übernommen. Per Dekret hat ihm sein Bruder Fidel die Amtsgeschäfte übertragen – bis zu seiner Genesung.

Die letzte Trumpfkarte Fidels, wenn etwas gar nicht funktionieren will, ist stets das Militär. Hapert es mit der Warenabwicklung in Havannas Hafen, übernehmen Soldaten. Fehlt es an Lebensmitteln, liefert die Armee. Auf die Armee, die Loyalität der Soldaten, kann sich Kubas Máximo Líder verlassen, denn dort regiert der Kronprinz der kubanischen Revolution – Raúl Castro. Und der fünf Jahre jüngere Bruder, der sich zeitlebens lieber im Hintergrund hielt, ist seit dem letzten Parteikongress der kommunistischen Partei Kubas 1997 auch der designierte Nachfolger. Ein Nachfolger, der die großen Schuhe des Máximo Líder nicht wird füllen können, denn mit Charisma ist der 75-Jährige nicht gesegnet. Seine öffentlichen Auftritte und Reden gelten in Kuba als langweilig, doch hinter den Kulissen zieht die rechte Hand Fidels viele Fäden.

Vor allem in der Wirtschaft ist Rául Castro seit Jahren eine bestimmende Größe. Mit moderneren Managementmethoden machte er die Armee zukunftsfähig, baute eigene Fabriken und Landgüter auf, um das Militär autark von Staatszuschüssen zu machen. Das ist ihm weitgehend gelungen, denn Raúl verfügt über einen Pragmatismus, der dem großen Bruder oftmals fremd ist. Auch ein Grund, weshalb es Raúl war, der 1994 die Wiedereröffnung der freien Bauernmärkte verkündete und nicht Fidel, der sich gegen diese Maßnahme zur besseren Versorgung der Bevölkerung lange gewehrt hatte. „Bohnen statt Kanonen“ ist einer seiner Slogans aus jener Zeit, als in Kuba die Versorgungskrise ihren Höhepunkt erreicht hatte.

Gleichwohl wird Raúl oftmals unterschätzt. Allzu oft wird er als dumm und Alkoholiker abgestempelt. Anders als Fidel gilt Raúl jedoch als strammer Kommunist, der viel dafür getan hat, dass die kubanische Revolution sich Anfang der Sechzigerjahre zum Sozialismus bekannte. Doch mit dem Ende des sozialistischen Lagers begann Raúl sich schnell nach Alternativen umzusehen. Mit den vietnamesischen und chinesischen Erfahrungen ist er genauso vertraut wie mit moderner Betriebsführung. Ein wesentlicher Grund, weshalb Raúl, so berichten kubanische Überläufer, das Netz der kubanischen Gesellschaften steuert und damit auch einen erheblichen Teil der Devisenwirtschaft. KNUT HENKEL