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ITALIENER SIND EXTROVERTIERT. ODER?Freundeskreis als geschlossene Gesellschaft

VON MICHAEL BRAUN

NEBENSACHEN AUS ROM

Italiener sind extrovertiert. Mit ihnen kommen sofort auch der Tourist oder die Besucherin ins Gespräch, die bloß ein paar Brocken Italienisch können – das wissen alle Deutschen, die schon mal südlich des Brenner unterwegs waren.

Und einigermaßen neidisch sind die Teutonen auch auf die lockere, unbeschwerte Art, auf die anscheinend deutlich bessere Laune, auf die Leichtigkeit, mit der sie andere Menschen ins Gespräch verwickeln. Da schämen sich die deutschen Gäste ein wenig, als ewige Miesepeter zu gelten, die sich anstrengen müssen, jenes Lächeln auf ihre Lippen zu zaubern, das Franco oder Francesca so selbstverständlich gelingt.

Italiener sind extrovertiert. Alle Feldstudien im Frühstücksraum des Hotels, egal ob auf Capri oder in Siena, belegen den Befund. Morgens um halb acht, der Raum ist noch leer. Die erste Person kommt rein; egal, ob deutsch oder italienisch, setzt sie sich an einen Tisch in der Ecke. Beim zweiten Paar ist die Nationalität schon gar nicht mehr egal. Deutsche steuern tendenziell den am weitesten entfernt liegenden Tisch an, also den schräg durch den Raum in der anderen Ecke gelegenen. Italiener dagegen lassen sich zielsicher am Nebentisch derer nieder, die schon bei Cappuccino und Cornetto sind.

Und so geht es dann weiter: Die Deutschen, jeder auf Abstand bedacht, spannen ein weites Netz der größtmöglichen Distanzen durch den Frühstücksraum, die Italiener durchkreuzen diese Strategie durch gezielte abstandslose Haufenbildung.

Doch dabei bleibt es auch – so furchtbar viel wollen die Römer oder Mailänder dann doch von den Tischnachbarn nicht wissen. Jeder Sprachkurs in Deutschland, jede Jogagruppe, jeder Ruderclub kennt nach getaner Aktivität bloß ein Ziel: „Wer kommt noch mit auf ein Bier?“ In Rom? Fehlanzeige.

Wer will, kann hier jahrelang mit wildfremden Menschen Joga treiben – und sich sicher sein, dass sie ihm wildfremd bleiben. Von wegen Kneipe oder Pizzeria, ein schnell in der Umkleide hingemurmeltes „ciao“ muss völlig ausreichen als Kontakt jenseits des Kursprogramms.

Die Folgen lassen sich bei meinem durchaus extrovertierten, so gar nicht miesepetrigen Freund Riccardo besichtigen. Ihn kenne ich auch nur, weil meine Frau und er im ersten Semester an der Uni Freundschaft schlossen. Jeder von Riccardos Geburtstagen wird zum Veteranentreffen: Von wegen Uni, 90 Prozent der Gäste sind die alten Klassenkameraden vom Gymnasium, man kennt sich seit gut 30 Jahren, und seitdem ist der Freundeskreis als geschlossene Gesellschaft etabliert.

Kurz: Wenn es um die echten, die wirklichen „amici“ geht, dann sind die meisten Römer gar nicht so weit entfernt vom knurrigsten Westfalen oder vom mundfaulsten Niedersachsen: Freundschaft muss halt über Jahrzehnte wachsen. Fremder ist in Rom schon jener Kollege, der aus der Provinz, aus Latina oder Viterbo oder auch bloß aus dem Nachbarviertel „zugewandert“ ist. Und auch im extrovertierten Süden gilt Karl Valentins weises Diktum: „In der Fremde ist der Fremde immer fremd“.

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