: Ein Lasttier kann das Leben verändern
Panter-Kandidatin (9): Stefanie Christmann sammelt Spendengelder und kauft davon Esel für Frauen in Eritrea
An dieser Stelle porträtieren wir jeden Samstag eine(n) von neun KandidatInnen für den taz-Panter-Preis.
In Stefanie Christmanns Wohnzimmer tummeln sich lauter kleine Esel: Ein Stoffesel sitzt auf dem Schreibtisch, einer hängt in der Lampe, ein kleiner Metallesel steht an der Eingangstür. „Und hier ist ein ganz besonderer Esel, der wurde aus Kork gebastelt“, sagt die 46-Jährige, holt ein Korkeselchen vom Regal und zeigt es lachend. Bei Keksen und Wasser erzählt sie an ihrem Wohnzimmertisch im Berliner Bezirk Pankow, was es mit den tierischen Mitbewohnern auf sich hat.
1995 hat Stefanie Christmann die Esel-Initiative gegründet, einen gemeinnützigen Verein, der Spenden für die Nationale Eritreische Frauen-Union (NUEW) sammelt, die von den Geldern Esel kauft. Die Tiere werden alleinerziehenden Frauen in Eritrea geschenkt, um sie und ihre Töchter bei der schweren Arbeit des Wasserholens zu entlasten. „Denn in Eritrea ist es die Aufgabe der Frauen, das Wasser zu besorgen“, erklärt Stefanie Christmann.
Die promovierte Germanistin hatte damals – während eines zweimonatigen, beruflich bedingten Aufenthaltes in dem afrikanischen Land – viele Frauen und Mädchen gesehen, die mit Wasserkanister auf dem Rücken weite Wege zur Wasserstelle und wieder nach Hause laufen müssen, über steile Berge, durch karge Landschaft, in enormer Hitze. „Ein Esel ist eine unglaubliche Erleichterung für die Frauen in Eritrea, er ermöglicht ihnen ein besseres Leben.“ Denn ein Esel sei nicht nur ein Lasttier, das die schweren Wasserkanister trage, er könne auch zu einer sicheren Einkommensquelle für die Mütter werden.
Stefanie Christmann steht auf und holt einen Stapel Postkarten aus einer Kiste. Auf den Karten sind Fotografien abgebildet, die sie während ihrer zahlreichen Besuche in Eritrea gemacht hat. „Das ist Halima Hadsch Adem“, sagt sie und zeigt das Bild einer lachenden Frau, die von Kopf bis Fuß in hellblaues Tuch gehüllt ist. Im Hintergrund ist ein kleines Lehmhaus mit einem geöffneten Fenster zu sehen. „Halima hat mit ihrem Esel Wasserhandel betrieben“, erzählt Stefanie Christmann. „Von dem verdienten Geld hat sie sich eigenständig einen kleinen Laden gebaut, in dem sie nun Seife, Tee, Zwiebeln und andere Dinge verkauft.“ Auch Bahita Seed Debil wusste, wie sie ihren Esel nutzen konnte: Die junge Frau mit dem Nasenschmuck transportiert selbstgeflochtene Matten mit dem Tier zum Markt in die einige Stunden entfernte Stadt. „Von dem verdienten Geld kann sie ihren beiden Töchtern die nötigen Schulmaterialien kaufen.“
„Zahlreiche Frauen in Eritrea sind alleinerziehend und leben in großer Armut“, berichtet Stefanie Christmann. „Viele haben ihren Mann im 30 Jahre dauernden Unabhängigkeitskrieg oder im Grenzkrieg gegen Äthiopien verloren, andere sind geschieden.“ Die Esel-Initiative leitet die eingenommen Spenden komplett an die NUEW weiter, die die Esel vor Ort einkauft und an Frauen vergibt. 20 Prozent der Spendengelder fließen außerdem in das Hebammentaxi-Projekt: Esel dienen hier als Fortbewegungsmittel für Hebammen, die oftmals in einem großen Gebiet tätig sind und mit dem Esel schneller zu den schwangeren und gebärenden Frauen gelangen können. Stefanie Christmann erzählt leidenschaftlich von ihren Frauen, ihren Eseln. Gerade erst ist sie aus Eritrea wieder zurückgekommen, hat Mütter besucht, die Vergabe der Esel mit der Frauen-Union besprochen. „Wir versuchen, die Esel so zu vergeben, dass möglichst viele Menschen davon profitieren. Und wir suchen Frauen aus, die eine Vorbildfunktion im Dorf übernehmen können.“
Seit Gründung der Esel-Initiative wurden bis Ende 2005 von den eingenommenen Spenden 4.500 Esel in Eritrea gekauft und verteilt. Und Stefanie Christmann tut eine ganze Menge, damit die Initiative noch bekannter wird und noch mehr Gelder fließen. Aus ihren Fotografien hat sie eine Wanderausstellung zusammengestellt, die seit 2002 schon an vielen Orten zu sehen war. Außerdem hat sie zwei Kinderbücher über ein eritreisches Mädchen geschrieben – „Askalu will einen Esel“ sowie „Askalu und ihr Esel Senait“. Das Honorar floss jeweils in Gänze an die Esel-Initiative.
„Interessant ist auch, dass etwa fünfzehn Prozent der Spenden durch das Engagement von Kindern und Jugendlichen an Schulen zusammenkommt“, erklärt Stefanie Christmann. Die Kinder sammeln auf Schulfesten, basteln Esel und verkaufen sie oder reparieren Fahrräder – also: Drahtesel –, damit weitere Tiere für Frauen gekauft werden können. Den überwiegenden Teil der Arbeit der Esel-Initiative leistet Stefanie Christmann – und das neben einem Fulltimejob im Bundesumweltministerium in Berlin. Freiwillige Unterstützung erhält sie von Freunden und Mitgliedern der Initiative. Sie verzichtet auf eine Menge Freizeit, stellt Spendenbescheinigungen aus, organisiert und hält Diavorträge und verbringt jedes Jahr ihren Urlaub zur Projektkontrolle in Eritrea – alles privat finanziert und ehrenamtlich.
Die Frage, ob die Mühe für ihre Esel-Initiative diese zusätzliche Belastung, diesen Einschnitt ins Privatleben Wert sei, beantwortet Stefanie Christmann mit einem deutlichen Ja. Sie strahlt dabei, man kann ihre Begeisterung spüren. „Ich sehe jedes Jahr in Eritrea, wie nötig das Projekt ist, wie sehr es den Frauen hilft. Außerdem bin ich voller Bewunderung für die afrikanischen Frauen, sie haben enorme Power, sie kämpfen Tag für Tag ums Überleben. Da ist doch das, was ich mache, nichts dagegen.“ JUTTA HEESS
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