: Klassenkampf von oben
RENTE Wir brauchen neue Rentenmodelle, aber die Rente mit 67 ist keine Lösung. Stattdessen weisen Rententeilzeit und Arbeitszeitkonten den Weg
■ war bis 2006 stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) und bis 2009 Mitglied im Parteivorstand der SPD. Zuletzt kritisierte sie an dieser Stelle die Sozialpolitik der CDU: „Wölfin im Schafspelz“.
Die Bundesregierung muss in diesem Jahr prüfen, ob die Rente mit 67 aus gesundheitlichen und arbeitsmarktlichen Gründen vertretbar ist. Doch Ursula von der Leyen (CDU) hat sich bereits festgelegt: Die Rente mit 67 wird eingeführt. Dabei gleicht sie die Zahlen ihren politischen Intentionen an: Die Erwerbsbeteiligung der 55- bis 65-Jährigen hat zwar seit 2000 erheblich zugenommen, doch viele Ältere müssen sich mit Niedriglöhnen und prekärer Beschäftigung über Wasser halten. Von den 64- bis 65-Jährigen ist nur ca. ein Fünftel noch erwerbstätig. Immer mehr Ältere gehen aus dem Job, erhalten Hartz IV und dann eine Rente, die in Altersarmut führt.
Generationenkonflikt?
Die große Mehrheit der Deutschen lehnt die Rente mit 67 ab, gut verdienende Manager, Beamte, Politiker, Professoren sowie führende Medienvertreter hingegen propagieren sie. Deren Pensionen sind nicht selten bis zu zehnmal so hoch wie die gesetzliche Altersrente. Stets erklären sie: Infolge der demografischen Entwicklung führe an der Rente mit 67 kein Weg vorbei; ohne eine längere Lebensarbeitszeit sei die gesetzliche Alterssicherung nicht mehr zu finanzieren. Gerade die Verantwortung gegenüber den Jüngeren verlange eine Anhebung des Rentenalters. Diese Argumentation ist schlicht falsch: Es gibt genügend Möglichkeiten, bei der Rente mit 65 zu bleiben und die Rentenleistungen zu verbessern, ohne die Beiträge anheben zu müssen.
In anderen Worten: Der Generationenkonflikt ist ein vorgeschobenes Argument. Es soll den bestehenden Verteilungskampf kaschieren zwischen Arbeitnehmern einerseits, deren durch ihre Beiträge selbst finanzierten gesetzlichen Altersrenten weiter gekürzt werden, und den Privilegierten andererseits, die hohe Pensionsansprüche haben und oft von Abschlägen nicht betroffen sind. Bereits heute müssen die meisten Rentner erhebliche Rentenabzüge durch einen vorzeitigen Übergang in die Rente hinnehmen. Beim durchschnittlichen Renteneintritt von derzeit 63 Jahren sind dies 7,2 Prozent. Bei der Rente mit 67 würden die Abschläge auf 14,4 Prozent steigen: Bei Durchschnittsrenten von 1.000 Euro für Männer und – infolge familiärer Verpflichtungen und von Niedriglöhnen – rund 500 Euro für Frauen ist dies ein bitterer Aderlass.
Es geht bei der Rente mit 67 zusätzlich auch um handfeste Interessen der Finanzbranche. Die giert seit Jahren darauf, die gesetzliche Altersrente zu senken. Dadurch werden die Arbeitnehmer gezwungen, private Zusatzrenten zu finanzieren, die nicht nur hohe Gebühren einbringen, sondern auch sonstige Gewinnchancen bergen. In Frankreich und Griechenland drohen Großkonflikte, weil die Altersgrenze über 60 Jahre angehoben werden soll. Hier rüsten sich maßgebliche Kräfte in Politik, Wissenschaft und Medien, um die Rente mit 67 durchzudrücken. Die Politik- und Demokatieverdrossenheit der Menschen wird rasant zunehmen.
Sinnvolle Finanzierung
Zuallererst müssen die im Zuge der Hartz-Gesetze massenhaft entstandenen 400-Euro- und 1-Euro-Jobs, die Leiharbeit sowie die befristete Beschäftigung wieder abgeschafft werden. Grundsätzlich müssen für alle Arbeitsverhältnisse existenzsichernde Mindestlöhne und die Sozialversicherungspflicht gelten. Würde die große Mehrzahl der über 55-jährigen Arbeitnehmer – wie etwa in Skandinavien – zu 70 bis 80 Prozent in anständig entlohnten und sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnissen bis zum Rentenalter beschäftigt, könnte der Renteneintritt ohne Beitragserhöhung bei 65 Jahren bleiben. Zudem würden die öffentlichen Haushalte entlastet, und auch die öffentliche Verschuldung würde verringert: Seit 2005 wird der Niedriglohnsektor mit über 50 Milliarden Euro subventioniert. Für jüngere Generationen bedeutet dies eine enorme Belastung.
Auch in der Rentenpolitik selbst sind gravierende Änderungen erforderlich. Vor allem muss die Kürzung von 4 Prozent im Jahr durch den sogenannten Riesterfaktor rückgängig gemacht werden. Damit könnten die Renten wieder angehoben und an die Lohnentwicklung angebunden werden. Dies ist die beste und nachhaltigste Rentengarantie. Darüber hinaus sind grundsätzlich alle Erwerbstätigen, also alle Einkommen einzubeziehen. Die Schweiz zeigt, wie erfolgreich dieses Modell sein kann, das die Belastungen pro Kopf deutlich verringert.
Genügend finanzielle Spielräume für die Verbesserung der gesetzlichen Altersrenten sind auch zu gewinnen, wenn die erhebliche steuerliche Subventionierung der kapitalgedeckten Zusatzrenten von 12,5 Milliarden Euro im Jahr verringert wird. Anstatt wenigen Besserverdienenden hohe Zusatzrenten mit hohen steuerlichen Abschreibungen zu finanzieren, sollten die gesetzlichen Altersrenten für Millionen Rentner verbessert werden.
Flexibel in Rente gehen
Mehr Flexibilität beim Übergang aus dem Erwerbsleben in den Ruhestand kann den unterschiedlichen Bedingungen und Belastungen einzelner Tätigkeiten ebenso Rechnung tragen wie den sich wandelnden Lebens- und Arbeitseinstellungen in unserer Gesellschaft. Dies erfordert Altersteilzeitregelungen, die tatsächlich einen gleitenden Übergang vom Erwerbsleben in die Rente ermöglichen und nicht -wie bislang üblich - das Blockmodell zum vorzeitigen vollständigen Ausstieg aus der Beschäftigung. Dann könnten viele Arbeitnehmer auch länger in ihren beruflichen Tätigkeiten bleiben. Der Einkommensausfall lässt sich durch flexible Teilrentenmodelle ausgleichen.
Ergänzt werden könnte die Altersteilzeit durch Lebensarbeitszeitkonten. Dann können Arbeitnehmer in jüngeren Jahren „angesparte“ Mehrarbeit einsetzen, um ohne Einkommens- und Rentenverluste früher in die Altersrente zu gehen. Dies setzt jedoch voraus, dass derartige Lebensarbeitszeitkonten vom Arbeitgeber mitfinanziert, bei einem Wechsel des Arbeitgebers mitgenommen werden können und ein ausreichender Schutz bei Insolvenz des Arbeitgebers erfolgt.
Doch auch hierbei ist die Frage zu beantworten: Auf welcher Altersgrenze sind die Flexibilitätsmodelle und vor allem die Rentenleistungen zu berechnen? Die Messlatte muss bei 65 Jahren bleiben. URSULA ENGELEN-KEFER
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