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Türkische Minze und deutsche Kohlrabi

TAZ-SERIE GÄRTEN (TEIL 6 UND SCHLUSS) Auf dem einstigen Kompostiergelände des Grünflächenamts in Lichtenrade entstand vor einem Jahr der Interkulturelle Generationengarten. Neben kleinen Parzellen gibt es ein großes Gemeinschaftsareal

TAZ-SERIE GÄRTEN

Gärten sind Sehnsuchtsorte, vor allem für Großstadtbewohner: im Gras liegen und träumen, Salat oder Marihuana züchten, die Gießkanne schwingen und den Kampf gegen das Unkraut führen.

Die taz hat sich in Berlin auf die Suche nach Hobbygärtnern gemacht. Denn man muss keine Scholle in Brandenburg besitzen, um seine botanischen Neigungen auszuleben. Ein Schrebergarten tut’s auch. Und selbst auf einem Nordbalkon werden die Tomaten irgendwann rot. Jeden Freitag berichtete die taz über Gärten. Der Text heute beendet die Serie.

Die Idee der Interkulturellen Gärten ist in den 70er Jahren in New York und Buenos Aires entstanden. Die „Community Gardens“ entstanden dort eher aus der Not heraus. Größtenteils Migranten und Flüchtlinge, die der Natur in ihren Heimatgebieten verbundener waren, pflanzten in die unbebauten Lücken zwischen zwei Häusern Blumen, Obst und Gemüse. Die Idee schwappte in den neunziger Jahren nach Göttingen, wo die bundesweit ersten interkulturellen Gärten entstanden. Mittlerweile existieren in Deutschland mehr als hundert.

Laut Senatsverwaltung für Stadtentwicklung gibt es in Berlin rund 74.500 Kleingärten in über 900 Kleingartenanlagen, die eine Fläche von etwa 3.000 Hektar einnehmen. Die Verwaltung hat vor wenigen Tage eine neue Broschüre mit einem Überblick über diese Kleingärten vorgestellt. Sie ist 40 Seiten stark, kostet 2 Euro oder nichts als Download unter www.stadtentwicklung.berlin.de/service/veroeffentlichungen/de/kostenpflichtig/kleingaerten.shtml

VON EBRU TAȘDEMIR

„Riechen Sie mal, die Minze!“ Mehpare Bozdoga kniet begeistert vor dem grünen Kraut auf ihrem Beet. „Das duftet so wundervoll. Letztens hat meine Schwester mit meiner selbst gezogenen Minze einen Bulgursalat gewürzt. Das schmeckte ganz anders als sonst.“ Freunde und Bekannte hatten ihr im Frühling verschiedene Samen geschenkt. Sie wisse gar nicht, was genau das Unkraut sei und was das sprießende Gemüse, gibt die 40-jährige Turkodeutsche zu. Cherrytomaten, drei kleine Erdbeerpflanzen und kniehohe Sonnenblumen lassen sich dann doch eindeutig identifizieren.

Mehpare Bozdoga ist mit ihren beiden Kindern eher durch Zufall zu ihrer 20 Quadratmeter großen Parzelle auf dem Interkulturellen Generationengarten Lichtenrade (IKGG) gekommen. In kostenlosen Kiezblättchen hatte sie darüber gelesen und sich kurzerhand entschlossen mitzumachen.

Die Anlage ist bereits der 19. interkulturelle Garten in Berlin – in Kreuzberg, Neukölln oder Marzahn existieren sie schon länger. Der IKGG ist in mancherlei Hinsicht eine Besonderheit. Denn in den anderen Anlagen sind es zumeist Anwohner, die ihr Gemüse in den Beeten pflanzen. Der Garten in Lichtenrade hingegen liegt am südlichsten Zipfel Berlins, ohne Rad, Bus oder Auto wären die NutzerInnen aufgeschmissen. Keiner von ihnen kommt aus der Nähe, die meisten wohnen in Hochhäusern mitten in Lichtenrade oder Mariendorf. Eine kleine Parzelle im IKGG würde die Eigenheimbesitzer in der Nachbarschaft wohl kaum aus ihren akkurat gepflegten Vorgärten locken.

Die Grundidee hinter den Interkulturellen Gärten sei, sie zu einem Ort des Austauschs und der Begegnung zu machen. „Wurzeln schlagen in der Fremde“ sei das Stichwort, sagt Projektleiter Hinrich Scheffen, der auch einen Nachbarschaftstreff in Lichtenrade leitet. Migranten und Deutsche sollen über den Garten hinaus lernen, miteinander auszukommen. Das gehe nicht immer ohne Konflikte, sagt Scheffen. Da werde genau geguckt, wie viel Zeit die anderen bei der gemeinschaftlichen Arbeit verbringen würden. Oder ob eine Familie den Garten nur zum Chillen nutze. Es gibt zwei klare Gruppierungen, so Scheffen. Die erste habe das Motto: Wir leben, um zu arbeiten, und die zweite Gruppe arbeite, um zu leben. „Ich soll dann den Klimmzug schaffen, diese Positionen zu vereinigen“, sagt der 60-jährige Psychologe. Und fügt trocken hinzu: „Klappt manchmal“.

Das 5.000 Quadratmeter große Areal auf dem einstigen Kompostiergelände des Grünflächenamts ist als Rechteck angelegt. 4.000 Quadratmeter sind für gemeinschaftliche Aktivitäten abgesteckt. Noch stehen hier nur weit verstreut zwei Vogelscheuchen, eine Holzbank und eine Laube am südlichen Ende. Doch ab Herbst soll sich einiges ändern. In erster Linie für die Gartenkinder: eine Spielwiese, ein Spielplatz mit Sandkasten, ein Basketballfeld und eine große Grillfläche sind geplant. Und ein Lehmbackofen. „Den könnten wir an einem Wochenende errichten und gleich Pizza drin backen“, schwärmt Hinrich Scheffen und lächelt breit unter seinem Panamahut.

Die restlichen 1.000 Quadratmeter sind für die Beete der Gartennutzer reserviert. Die Anordnung und Bepflanzung der Beete ist so unterschiedlich wie die zehn Parteien, die sich den Garten momentan teilen. Von der Kleinfamilie über Alleinerziehende bis hin zu Ehepaaren reicht das Spektrum. Und obwohl das Konzept interkulturell angelegt ist, gibt es gerade mal zwei Einwandererfamilien. Das mit den Generationen klappt schon eher: Von der Vorschul- bis zur Rentnergeneration ist alles vertreten. Trotzdem ist noch Platz: 30 weitere Beete können angelegt werden.

Von der Kleinfamilie über Alleinerziehende bis hin zu Ehepaaren reicht das Spektrum

Das Ehepaar Gäsche, beide um die 70, haben ihren alten Garten aufgeben müssen. Ihre Laube indes haben sie gerettet und im Gemeinschaftsfeld wiederaufgebaut. Nach einer Runde Unkrautjäten trinken sie Kaffee. Nebenan spielen die Töchter von Mehpare Bozdogan an einem Wasserbottich. Die ältere gießt der jüngeren mit einer Gießkanne Wasser über den Kopf. Richard Gäsche kommentiert das Treiben mit einem trockenen: „Na, is kalt, wa.“

„Ich habe vor allem an meine Kinder gedacht, als ich mich entschlossen habe, hier mitzumachen“, erzählt Mehpare Bozdoga. Als alleinstehende Mutter von drei Kindern aus Mariendorf müsse sie mit wenig Geld auskommen. Die 10 Euro im Monat werde sie weiter gern zahlen, denn der Garten biete eine willkommene Abwechslung für sie und ihre Kinder.

Mit den Nachbarn aus den Einfamilienhäuschen haben sich die Interkulturellen GärtnerInnen inzwischen fast schon angefreundet. „Täglich kommen Anwohner vorbei und fragen, wie es läuft. Und spenden uns Sachen“, erzählt Hinrich Scheffen. So sei man zu den rund 30 bunt gemischten Gartenstühlen gekommen, die an den Bäumen stehen. Fehlen nur noch die MitstreiterInnen, die sich drauf setzen. Mit einem Tag der offenen Tür am 11. September wird sich das ändern, hofft Scheffens Kollegin Heidi Sembritzki. „Leider werden dann die Johannisbeeren und Stachelbeeren nicht mehr zum Naschen an den Sträuchern hängen.“

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