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EU – kein Hort der Glückseligkeit

PARTIZIPATION Durch Europa zieht sich eine Welle von Protesten – auch die Türkei entdeckt die Lust am Widerstand

Deniz Yücel

■ 1973 geboren in Flörsheim am Main, seit 2007 taz-Redakteur für besondere Aufgaben und Kolumnist. Der Träger des Kurt-Tucholsky-Preises für literarische Publizistik berichtete im letzten Jahr über die Gezi-Proteste. Auf dem taz.lab am 12. April liest er aus seinem neuen Buch „Taksim ist überall – Die Gezi-Bewegung und die Zukunft der Türkei“ (erscheint demnächst bei Nautilus). (cin)

VON CANSET ICPINAR

Die geplante Abholzung von Bäumen in dem kleinen Gezipark in Istanbul löste im Sommer 2013 eine bis dato nie gesehene Protestwelle in der Türkei aus. Nicht etwa, weil es in der Türkei nicht schon früher Proteste gegen die Regierung gegeben hätte – sondern, weil sich diese durch das ganze Land und alle Bevölkerungsschichten zogen. „Taksim ist überall“ lautete die Parole, die sich im ganzen Land verbreitete und es bis nach Kreuzberg schaffte.

In seinem gleichnamigen Buch beschreibt taz-Redakteur Deniz Yücel, welche Ursachen zu der Protestbewegung geführt haben und wer die Menschen hinter der Bewegung sind: „Von der Unternehmerin, die eine Immobilienfirma besitzt und im Istanbuler Nobelbezirk in Nisantasi lebt, bis zu den Mädchen und Jungen aus linksradikalen Organisationen, die ganz vorne an den Barrikaden gekämpft haben.“ Die Protestierenden stammen aus unterschiedlichen Milieus und hätten demzufolge auch jeweils andere Gründe zu demonstrieren. Doch letztendlich ginge es nicht darum, gegen die eine oder andere Regierungsmaßnahme zu sein. „Eigentlich ist das ein Kulturkampf, der hier gerade stattfindet“, erklärt Yücel.

Und was geht uns das alles hier in Europa an? Während zu Beginn der Proteste zunächst nur Sympathisanten der Bewegung über die Landesgrenzen hinaus die Meldungen in ihren Netzwerken verbreiteten, wurde das Thema schnell auch von der internationalen Presse aufgegriffen. „Gezi“ machte weltweit Schlagzeilen, und vor allem in Deutschland interessierte man sich zunehmend für das Thema – auch politisch. „Europa ist kein Hort der Glückseligkeit“, glaubt Yücel, „gerade im Zusammenhang mit der Europäischen Union gibt es enorme Demokratiedefizite, was Mitbestimmungsrecht und Partizipation angeht: Fragt doch mal die Griechen.“

Die Forderung nach mehr Mitbestimmungsrecht und Demokratie sei ein zentrales Anliegen in der Gezi-Bewegung, so wie eben vielerorts in Europa auch. Aus diesem Grund ginge uns Gezi durchaus auch hier in Europa etwas an. „Die Gezi-Bewegung hat Europa etwas zu erzählen“, so Yücel. Aber nicht etwa, weil man sich in der Türkei das politische System in Europa wünsche.

Erdogans Legitimation in der Türkei beruht auf demokratischen Prinzipien: Per Wahl hat er die politischen Mehrheit im Land – aber Demokratie sei eben mehr, als das, was an der Wahlurne entschieden wird, erklärt Yücel. Man könne nicht machen, was einem passt, nur weil man die Wahlen gewonnen hat. Ähnlich sei das Problem auch in Europa. Die in sich heterogene Gruppe der Demonstrierenden in der Türkei hat sich eben diesem Verhalten der türkischen Regierung entgegengestellt und verkörpert mit ihren Forderungen nach mehr Partizipation und direkter Demokratie grundlegende europäische Ideen. Von dieser Grundhaltung können sich die Menschen im restlichen Europa durchaus eine Scheibe abschneiden.

Wie? Darüber diskutieren wir auf dem taz.lab am 12. April im Haus der Kulturen der Welt.

Canset Icpinar, 29, ist seit 2013 Redakteurin im taz.lab-Team

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