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Sex, Ruhm, Reichtum

THEATER Das Moks bringt Janne Tellers „Nichts“ in einer eigenen Bühnenfassung auf die Bühne und verweigert dabei Antworten auf die existenziellen Fragen des Stoffs

Es ist die gefährlich werdende Sehnsucht nach etwas Absolutem als die Geburt des Fanatismus zu erleben

VON JENS FISCHER

In Dänemark einst verboten, in Deutschland zur Schullektüre emporgelobt und daher landauf, landab auch auf den Welt bedeutenden Brettern zu erleben: In Bremen brachte jetzt das Moks die Dramatisierung von Janne Tellers Roman „Nichts. Was im Leben wichtig ist“ zur Premiere.

Erfrischend deutlich geht es darin um alles oder nichts: Ja, warum ist überhaupt irgendetwas und nicht vielmehr nichts? Und wenn schon so viel um einen herum Sein beansprucht, was ist davon nun wesentlich? Was motiviert uns, morgens aufzustehen und das Tagwerk zu beginnen? Warum bleiben wir nicht einfach liegen? Weil doch vielleicht nichts irgendetwas, also alles nichts bedeutet und es sich deshalb gar nicht lohnt, irgendetwas zu tun? Das behauptet jedenfalls Pierre-Anthon, ein 14-jähriger Existenzialist, der sich dem „sinnlosen Spiel“ menschlichen Strebens verweigert und zum Genießen des Nichts auf einen Baum zurückzieht: „Lieber im Nichts sitzen als in etwas, was nichts ist!“ Oder: Wenn es keine allgemeinen Werte gibt, keine grundlegende Orientierung, dann sollte man einfach der Freiheit frönen, sich selbst zu entwerfen.

Von dieser erhabenen Position herab provoziert Pierre-Anthon mit alles nichtenden Verhöhnungen seine Altersgenossen. Die nun aus Angst vor dem schwarzen Loch der allumfassenden Sinn-Leere einen Berg der Bedeutung aufhäufen – als Gegenentwurf. Jedenfalls fordern sie sich gegenseitig auf, sich von dem zu trennen, was ihnen besonders wichtig ist. Die Bedeutung steigt, je schmerzhafter, tränenreicher der Verlust erlebt wird. Das soziale Gruppenexperiment entwickelt eine fatale Eigendynamik: Erst landet nur ein Paar Lieblingsschuhe auf dem Berg, dann ein Tagebuch und der Gebetsteppich des islamischen Mitschülers; dem besten Gitarrenspieler der Klasse wird bereits ein Finger amputiert, der Hund eines Mädchens geköpft, ein anderes muss ihre Unschuld opfern. Nicht witzig. Es ist die gefährlich werdende Sehnsucht nach etwas Absolutem als die Geburt des Fanatismus zu erleben.

Ganz leicht geht Regisseur Alexander Riemenschneider diese großen Fragen und rücksichtslosen Antwortversuche an. So wie es seiner Inszenierungsästhetik entspricht. Ob er nun „Hamlet“ neu deutet oder ein Stück der Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek uraufführt: Immer hat er das Publikum als Partner der Bühnenkunst im Blick, lässt die Schauspieler Augenkontakt herstellen, dann toben sie in die Sitzreihen, fläzen sich zwischen aneinander gekuschelte Zuschauerpaare. Oder stehen an der Rampe und führen in diesem Fall einen Philosophie-Grundkurs durch: unbekümmert um Bedeutung kümmern. Das Ensemble, alle so um die 30 Jahre alt, gibt vor, damals in Pierre-Anthons Klasse 7a gewesen zu sein. Aber nicht nur Zeitzeugenreferat spielen sie, betonen auch die Als-ob-Situation und das Parabelhafte der Handlung. Riemenschneider hat den Roman als Monolog für fünf Sprecher hergerichtet, die ständig die Rollen wechseln. Und dabei immer wieder aus dem spielerischen Erzählen in erzählendes Spielen hineingleiten. Szenen werden an-, auch mal ausgespielt, Situationen choreografisch inszeniert oder mit Windmaschinenstürmen, Märchenglitzerstaub und anderen offen dargelegten Theatermitteln überhöht.

Besonders bedeutungsvolle Momente hält jemand in Polaroids fest, deren Entwicklungsprozess auf die Rückwand der leeren Bühne projiziert wird. Dort prangen die Fotos wie Erinnerungsbilder, Mahnungen, visuelle Überschriften. Davor wird immer die Not und Leidenschaft der Bedeutungssuche deutlich – als tabulos ausgelebte Begeisterung, das Nichts nicht nur in Gedanken zu nichten, sondern in Taten, ohne dass Aufpasser/Erwachsene Grenzen ziehen. Und was wird aus dem Berg? Pierre-Anthon schmäht ihn als „Haufen Gerümpel“, Museen adeln ihn zur Kunst, Spekulanten bieten Millionen Dollar – aber final brennt er ab.

Die Jugendlichen suchten verbissen nach Sinn, fanden Schmerz, ersten Sex, Ruhm, Reichtum – und stehen nun da, so klug als wie zuvor. Das Moks ist klüger, verweigert Antworten – und gibt die Fragen ans Publikum weiter. So funktioniert Theater als öffentlicher Denk-Ort.

■ Die nächsten Aufführungen: Donnerstag, 20 Uhr (ausverkauft), Freitag, 10.30 Uhr, Sonntag, 16. März, 18.30 Uhr, Montag, 17. März, 10.30 Uhr, Theater Bremen, Kleines Haus

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