piwik no script img

WOCHENENDE WIRD SO LANGE RABIAT GEPLANT, BIS MAN SCHEITERT. BIS EINER WEINTFanpost für diesen Dingsda

VON ANDREA HÜNNINGER

Ich kann mich noch gut daran erinnern, was es am 16. April 1994 zum Abendessen gab, nämlich widerlichsten scharfen Gemüsebrei vom Chinesen, der nun heruntergewürgt werden wollte. An diesen tragischen Augenblick muss ich immer denken, wenn ich, und das ist in Berlin richtig selten geworden und in Kreuzberg noch viel mehr, an diesem chinesischen Restaurant Schlesische Straße Ecke Oppelner vorbeigehe, wo immer zwei goldene Löwen draußen links und rechts vor dem Eingang aufpassen, dass niemand reinkommt.

Das machen sie so gut, dass seit Bestehen dieses Restaurants, also seit fünf Jahren, nie ein Mensch hinter den erleuchteten Glasscheiben zu sehen war. Seit fünf Jahren nie ein Gast. Jedenfalls erinnere ich mich dann an den 16. April, und dieser ist in jeder einzelnen scharfen Sojastange sehr deutlich im Gedächtnis geblieben.

Wenn ich aber versuche, mich an gestern zu erinnern, ist es, als greife ich in ein schwarzes Loch. Wochenende. Da war etwas. Und lassen Sie mich noch etwas Grundsätzliches zum Wochenende sagen, bevor ich von Suhrkamps Sause am Wannsee und der Kuscheltierschlacht im Studio 44 erzähle: Kein Wochentag wird so kalt geplant und vollgestopft wie das Wochenende.

Wochenende ist wie Weihnachten, es soll alles so sein wie im Fernsehen, und auf rabiateste Weise scheitert man. Bis einer weint. Das letzte Augustwochenende (Wettervorhersage für die nächsten ACHT Monate in Berlin: hässlich!) war so eines, das nur hat scheitern können.

Der Suhrkamp Verlag feierte am Wannsee im Literarischen Colloquium seinen 60. Geburtstag, und das ist zwar noch kein Grund, komplett ob des Alters, der Lebenslaufzeit eines Verlages durchzudrehen, aber es ist nun mal Suhrkamp, und ich bereitete natürlich schon einmal Fanpostkarten vor für Peter Handke, Christa Wolf, Enzensberger (weiß gar nicht, ob der bei Suhrkamp erscheint, aber der ist ja generell überall, also auch auch hier) und Dingsda, auch einen wichtigen Schriftsteller, dessen Name mir jetzt entfallen ist. Bei eBay kann man mit den geplanten Fanpostkarten keine großen Erlöse feiern, aber bei den Enkeln wird das wahnsinnig großen Eindruck machen. Bestimmt.

Jedenfalls große Enttäuschung. Statt Handke war da wieder nur so eine Ente auf dem See und guckte von dort, ich meine mit einem sehr amüsierten Ausdruck um den Schnabel herum, dem eigenartigen Treiben zu, das wie folgt aussah: Eine Menge älterer „Herrschaften“ sitzt auf weißen Plastikstühlen und lauscht jemandem, der ins Mikrofon spricht. Gottesdienst in Westberlin. Eine Lesung. Und ab und zu trat jemand an die Betonbalustrade heran und schaute verträumt auf den See, als würde er ein Gedicht aufsagen. Es war herrlich. Später legte der fahnenflüchtig gewordene ehemalige tazler, jetzt bei Spiegel, Tobias Rapp, Schallplatten auf.

Weil aber das Wochenende Stress bedeutet und die Termine eng gelegt sind, sprang ich noch schnell in die Klosterstraße in die Neueröffnung des Studios 44, eine Kunstangelegenheit von Constanza Macras, die „Megalopolis“, eine großartige Tanzsache, an der Schaubühne inszeniert hat. Dort standen schon Leute in Superman- und Tierkostümen auf der Bühne herum, zogen aus riesigen Plastiksäcken Bären, Elefanten, Teufel, Hunde, Katzen, Schlangen und Meerschweinchen heraus und befahlen dem Publikum, sich jetzt heftig mit Kuscheltieren zu bewerfen.

Und darüber kann man noch sehr froh sein: dass man sich heutzutage, während man nicht rauchen darf, nur in Maßen trinken und die Schuhe bei Partys ausziehen muss, noch für die Kunst Kuscheltiere an den Kopf schmeißen darf. Die Fanpostkarten habe ich auch unterschreiben lassen. Unter der von Verlegerin Ulla-Unseld-Sowieso steht jetzt: Superman.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen