piwik no script img

Beschleunigte Ausreise

Bei der Abschiebung langjährig geduldeter Flüchtlinge orientiert sich die Ausländerbehörde des Kreises Pinneberg am harten Hamburger Kurs: Über die Reisetauglichkeit entscheiden bestellte Allgemeinmediziner

Die Ausländerbehörde des Kreises Pinneberg gibt sich derzeit alle Mühe, möglichst viele Migrantenfamilien loszuwerden. Aktuell sollen 27 Familien, 54 Erwachsene und 107 Kinder aus der Region wegen abgelehnter Asylanträge Deutschland verlassen. Das kann künftig ganz schnell gehen. Wurde die Prüfung der Reisefähigkeit bisher von Amtsärzten des Sozialpsychiatrischen Dienstes vorgenommen, hat der Kreis nun eine andere Ärztin mit der Begutachtung betreut. Ihr Fachschwerpunkt: Sport- und Tropenmedizin.

Während die Amtsärzte bei den Flüchtlingen oft schwer wiegende seelische Störungen diagnostizierten, soll ihre Kollegin lediglich medizinische Atteste auf ihren Wahrheitsgehalt durchsehen und feststellen, ob Betroffene körperlich in der Lage sind, auszureisen. Nur bei offensichtlichen psychischen Beeinträchtigungen kann sie anordnen, dass die Abschiebung ausgesetzt wird.

„Diese Ärztin verfügt nicht über die besondere psychologische Fachkenntnis, die für diesen besonderen Personenkreis erforderlich ist“, sagt Wolfgang Neitzel vom Diakonieverein Migration im Kreis Pinneberg. Er befürchtet, dass es nun zu Verzweiflungstaten kommt. „Wir gehen hier keine Sonderwege“, hält Jürgen Tober dagegen, Chef des Fachdienstes Sicherheit und Ordnung im Kreis. Vielmehr sei das Vorgehen gängige Praxis. „Wir orientieren uns hier an Hamburg“, sagt Tober. „Die dortige Ausländerbehörde lässt die Reisefähigkeit ebenfalls von einer Allgemeinmedizinerin prüfen.“ Im Übrigen seien die Amtsärzte des Sozialpsychiatrischen Dienstes überlastet. Tober: „Es ist auch gar nicht unsere Aufgabe, psychische Störungen zu ermitteln und damit die Menschen vor der Ausreise zu retten.“ Darum gehe es im vorgeschalteten Asylverfahren.

Betroffene könnten ihr Anliegen vor der Härtefallkommission in Kiel vortragen. Doch deren Einfluss ist rein petitiv und hat keine aufschiebende Wirkung. Achselzucken auch beim Innenministerium: „Wir gehen davon aus, dass das Ausländerrecht im Kreis Pinneberg korrekt angewendet wird“, sagt Sprecher Thomas Giebeler.

Abhilfe kann also nur auf politischer Ebene geschaffen werden. Entsprechende Anfragen an den den Kreispräsidenten hat die Kreistagsfraktion der Grünen bereits gestellt. Die nächste Sitzung des Gremiums ist am 30. August. Das Thema Flüchtlinge und Abschiebung steht noch nicht auf der Tagesordnung.

MICHELLE KOSSEL

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen