: „Ich laufe mir die Hacken ab“
Norbert Rheinlaender
Die Schöneberger Crellestraße ist ein Kiez-Idyll: verkehrsberuhigt, breite Bürgersteige mit Bänken. Ein Bioladen, vier, fünf Kneipen und Kinderspielplätze, der Sitz des Umweltverbandes BUND. Mittendrin das kleine Ladenbüro von Norbert Rheinlaender, 58, das weniger einem Architekturbüro als vielmehr einer Aktionszentrale gleicht: „30 Jahre Widerstand“ steht am Fenster, drinnen hängen Plakate, Poster, Veranstaltungshinweise – viel Papier also – und mittendrin arbeitet der Chef der Bürgerinitiative Westtangente. Seit Jahrzehnten kämpft er um Grün, Radwege und eine demokratischere Stadtentwicklung. Sehr erfolgreich übrigens: Der lang umkämpfte Gleisdreieck-Park kommt – zum Baubeginn gibt es kommenden Samstag ab 13 Uhr ein Bürgerfest
INTERVIEW ROLF LAUTENSCHLÄGER
taz: Herr Rheinlaender, Sie fahren jeden Morgen – bei Wind und Wetter – mit dem Rad vom Kottbusser Tor zu Ihrem Büro in die Schöneberger Crellestraße. Welche Strecke radeln Sie?
Norbert Rheinlaender: In der Regel nehme ich die Fahrradroute von Kreuzberg zur FU, die ich 1983/84 mit anderen Bürgerinitiativen zusammen angeregt habe. Die Idee war, für Radler einen sicheren Weg abseits der Hauptverkehrsstraßen zu markieren. Die Strecke gibt es jetzt, und die fahre ich meistens hierher, wenn ich nichts anderes zu erledigen habe.
Dann kommen Sie jeden Tag an Schauplätzen vorbei, gegen die – oder für die – Sie samt Bürgerinitiative Westtangente immer gekämpft haben, oder?
Klar, von der Monumentenbrücke schaue ich aufs Gleisdreieck-Gelände und rüber zum Potsdamer Platz.
Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie zum Potsdamer Platz hinüber gucken?
Wir haben eine Schlacht verloren gegen Vorstellungen von Stadtgestaltung, die nicht meine sind. Das Land Berlin wollte dort schon vor dem Fall der Mauer ein bauliches und wirtschaftliches Zeichen setzen. Die Großinvestoren haben das nach der Wiedervereinigung realisiert. Unsere ursprüngliche Idee einer Grüntangente vom südlichen bis zum nördlichen Stadtrand wurde damit unterbrochen.
Sind Sie verbittert angesichts der Glas- und Steinmassen?
Nein, bin ich nicht. Das ist Alltag. Man kann nicht alle Ideen lückenlos durchsetzen. Wenn man so eine Planung wie die Grüntangente verfolgt, braucht es politische Mehrheiten und „Anwälte“ in Gremien, Verwaltungen, Parlamenten, den Medien bis hin zu den Menschen vor Ort. Und wenn auf der anderen Seite so starke Gegner stehen wie etwa die Bahn, die zudem brachial und völlig uneinsichtig mit der Stadt umgeht – siehe Fernbahntunnel oder Bahnhof Südkreuz – lässt jede Initiative Federn.
Aber wenigstens die Parkgestaltung auf dem Gleisdreieck ist doch jetzt ein Erfolg – nach 33 langen Jahren Kampf der BI Westtangente für die Grünplanung?
An meinen Ansprüchen gemessen ist es zu wenig. Aber ich sage mir auch, wir haben relativ viel erreicht. Es ist beim Gleisdreieck so wie mit vielem in der Berliner Geschichte: Realisiert werden bei Planungen meistens nur Teile, Bruchstücke. Jetzt muss man ein funktionsfähiges Puzzle aus diesem und anderen Parks machen.
Warum so bescheiden? Eine vierspurige Autobahn, die so genannte Westtangente – gegen die sich die BI konstituierte – gibt es nicht …
… sie sollte sechsspurig sein.
Okay, aber es gibt die Betontrasse nicht, sondern Grün, Spielplätze et cetera dank Bürgerbeteiligung. Das nenne ich Erfolg.
Der Gleisdreieckpark, der nun kommt, ist die Summe aller Faktoren, die dort Einfluss genommen haben. Ein wirklicher Erfolg wäre, wenn das Bürgerbeteiligungsverfahren zum Gleisdreieckpark nicht ein Modell, sondern Alltag wäre. Es ist noch heute Realität, dass einerseits Stadtplanungskonzepte von Einzelpersonen oder -unternehmen mittels Machtinstrumenten durchgesetzt werden und andererseits zu wenig Bürger laut sagen, „wir stellen uns unter Stadtplanung was anderes vor“. Somit sind die Bürger am Spiel der Stadtgestaltung nie beteiligt.
Ist es in der Realität nicht so: Es braucht immer Typen wie Sie, die jahrelang stören? Dann ziehen andere mit, nur so kriegt man was?
Das ist mein Image. Aber das Modell Gleisdreieck hatte durch die Hausbesetzerszene, durch die Stadterneuerungsbewegung in Kreuzberg, durch die IBA, durch Akteure, die später in die Parlamente und Verwaltung gingen und Senatoren beeinflussten, funktioniert. Nicht durch mich allein oder die Arbeit der BI. Die Verwaltung hat aus den Forderungen der BIs und der zaghaft umgesetzten Praxis der Bürgerbeteiligung zwar gelernt – von der Begehung der Gelände bis zur Online-Befragung. Trotzdem sieht der Alltag noch immer so aus: In den Behörden und erst recht bei Investoren gelten Bürger, die mitplanen wollen, als Störenfriede.
Findet ein Rollback der Stadtplanung ohne Bürgerbeteiligung statt?
Die Zahl der Bürgerinitiativen widerspricht dem. Welchen Erfolg das Engagement allerdings hat, steht auf einem anderen Blatt. Richtig ist, dass sich die gesellschaftlichen Verhältnisse für BIs verschlechtern.
Es kommt jetzt zuerst das Fressen und dann die Moral.
Ja. Weil heute immer mehr Menschen damit beschäftigt sind, ihre Existenz zu sichern, sind diese Bürger – trotz Bereitschaft zum Engagement – lahmgelegt. Sie fühlen sich von demokratischen Prozessen ausgegrenzt und ziehen sich zurück. Auch die Spendenbereitschaft der Bürger lässt nach.
Wenn die Basis bröckelt, woher nehmen Sie die Kraft weiterzumachen, wie hält sich eine BI Westtangente unter solchen Umständen?
Wir sind ja bekannt und erfolgreich. Und wir haben unsere Arbeit von Beginn an auch auf die Medien und auf öffentliche Wirksamkeit erweitert. Außerdem stehen wir nicht mehr für das Engagement quasi vor der Haustür, sondern für die Ebene darüber: für die Stadt, ihre Gestalt, den Verkehr, für Grünplanungen. Aber trotzdem, wir stellen uns auch immer wieder die Frage, wie kriegen wir es hin, dass sich Betroffene engagieren? Was mich speziell dabei wütend macht, ist, dass von den Verwaltungen, Bezirken oder von Geldgebern zu dieser Frage kaum etwas kommt. Dass Bürger sich beteiligen, dass sie oder wir Vorschläge machen, dass ich mir die Hacken ablaufe, ist doch in deren Interesse. Wir nehmen denen ja Arbeit ab.
Was wäre Ihr Vorschlag?
Es wäre schon ein Erfolg, wenn die Ressorts in den Verwaltungen ihre Partikularinteressen einmal überwinden könnten, wenn Abteilung A mit Abteilung B spricht. Nur so kann eine Idee von Planung, von Stadt, von Beteiligung zusammengeführt werden. Wir artikulieren und vernetzen Projekte. Wir führen die vielfältigen Einzelteile mit den unterschiedlichen Interessen der Bürger zusammen. Am Gleisdreieck haben wir das so gemacht: Als wir gesehen haben, dass die Grünplanung sich nur mit Grün, die Verkehrsplanung sich nur mit dem Verkehr befasst und die Bahn sich taub gestellt hat, haben wir die Gesamtsicht hergestellt. Wir stellen einen Vermittlungsprozess her. Wir stellen Vernunft im Planungsprozess her. Letztendlich machen wir Bildungsarbeit, wenn du so willst, und politische Arbeit.
Stichwort Politik. Wollten Sie nie ins Abgeordnetenhaus? Sie sind zwar parteilos, aber der Aktivist Rheinlaender steht doch als Synonym für linken politischen Diskurs.
1974 wurde ich für zwei Jahre zum Bürgerdeputierten in die BVV Schöneberg delegiert. Das hatte weniger mit politischer Ambitionen zu tun, sondern weil ich sowieso dauernd wegen irgendeines Problems zur Verkehrsplanung ins Rathaus gerannt bin.
Mehr war nicht drin, oder wollten Sie nicht mehr?
Ich wollte schon früh – und will das bis dato – gesellschaftliche Veränderung. Aber ich wollte dies in meinem Beruf als Architekt erreichen. Ich will Demokratisierung in der Stadtplanung.
Aber sind Parlamente, Ämter, Ausschüsse, Gremien nicht die ideale Bühne dafür?
Sicher hätte ich im Rahmen meines Engagements einmal Stadtrat spielen können. Aber will ich das, angesichts der Tatsache, dass 80 Prozent der Arbeit Verwaltungsentscheidungen bilden? Nee, das will ich nicht. Das ist langweilig, zu eindimensional. Weder habe ich Lust, mich in einem Bezirksausschuss zu streiten. Noch treibt es mich um, innerhalb einer Partei oder Fraktion zu arbeiten. Ich halte die Optionen dort für sehr begrenzt. Da schränke ich mir die Aktionsräume doch selbst ein. Ich will themenzentriert, unabhängig arbeiten und an den Alltagsprozessen teilnehmen.
Politiker sind Sie nicht geworden. Vom Architekten Rheinlaender ist aber auch kaum etwas bekannt. Macht Ihnen das was aus, zumal Sie in einer Zeit leben und in der Stadt arbeiten, wo viel gebaut wurde und noch wird und sich viele Planer einen Namen gemacht haben?
Klar kennt man mich weniger als Architekt, sondern vielmehr als Mitglied der Bürgerinitiative. Und das empfinde ich natürlich als schade, zumal ich interessante bewohnerorientierte Projekte realisiert habe. Okay, das ist eben so. Was mir etwas ausmacht, ist, dass ich manchmal zu wenig Geld verdiene bei meinen Aufträgen – zumal die viele Arbeit, die ich für die BI mache, nicht mit Geld aufgewogen wird. So ein Job sollte auch finanziert werden, zumal er für die Stadtgestaltung unverzichtbar ist. Stellen Sie sich, Berlin hätte eine sechsspurige Autobahn zwischen Kanzleramt und Bundestagsgebäude realisiert!
Die Frage war, warum haben Sie nicht drauflosgebaut wie andere?
Seit meinem Studium fand ich es notwenig, die Bedürfnisse der Bewohner und Nutzer von Häusern und der Stadt zu studieren und aus der Realität abzuleiten, statt Investoreninteressen zu bedienen. Deshab habe ich auch fünf Jahre in einem Kinderladen gearbeitet, neben der Stadtteilarbeit. Dann habe ich einen Fahrradladen mit gegründet. Seit zehn Jahren konzentriere ich mich beruflich auf den Bereich Sanierung. Das halte ich nach wie vor für ein bedeutendes Arbeitsfeld, gerade in Berlin, damit das Umland nicht noch weiter zersiedelt wird. Gerade die 100-jährigen Häuser wurden alle im besten Sinne ökologisch gebaut. Nur die Dämmung und Wärmeerzeugung sowie die Leitungen müssen auf einen aktuellen Stand gebracht werden. Und bei der Sanierung lassen sich auch die Interessen der Bewohner sehr gut unterbringen.
Der Rheinlaender bleibt also hauptberuflich Aktivist. Was kommt die nächsten 33 Jahre – nach dem Gleisdreieck?
Puhh, ich bin jetzt 58 Jahre (lacht). Der Ruf von Debis und der CDU nach einer Westtangente hallt immer noch …
… aber er ist schwächer geworden.
Gut. Dann nehme ich ein anderes Feld. 1976 haben wir unser Schwarzbuch herausgegeben. Darin haben wir einen Vorschlag zur Nachnutzung des Flughafens Tempelhof dargelegt. Kritik hat es nur so gehagelt: Wie kann man so was nur fordern! Den Rosinenbomber-Flughafen zumachen. Die sind vom Osten gesteuert. Und so weiter. Die Nachnutzung ist jetzt wieder Thema. Und Tempelhof und Westberliner Flughafenfanatiker gibt es noch immer. Also zu tun gibt es in der Zukunft noch einiges. Demokratie in der Stadtentwicklung ist ein lebenslanges Thema, langweilig wird mir nicht.
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