kritikerumfrage usw…: Mehr Körper, weniger Macht
Irgendwie hat dieser Mann gleich zweimal verloren. Wenn man jetzt noch sagt, dass er einem deshalb leid tut, wäre das fast gemein. Nee, tut uns nicht leid.
Die Rede ist von Gerhard Stadelmaier, Theaterkritiker der FAZ, und der Kritikerumfrage in theater heute. Denn erstens wurde Jürgen Goschs Version von Shakespeares „Macbeth“ vom Düsseldorfer Schauspielhaus zur Inszenierung des Jahres gewählt, und dieser Regisseur ist für Stadelmaier ein Graus und Phantasie-Verhinderer, der mit zu viel Schmutz und Theaterblut, mit zu viel Fleischfarben und Körpersäften nicht nur Tote auf dem Theater, sondern gleich den Tod des Theaters selbst hervorbringt. Zweitens nannten die Kollegen unter „Ärgernis des Jahres“ die so genannte „Spiralblockaffäre“: Der Schauspieler Thomas Lawinky hatte Gerhard Stadelmaier während einer Vorstellung seinen Notizblock entrissen. Das Schauspiel Frankfurt hatte daraufhin den Vertrag mit dem Schauspieler gelöst, schneller noch, als die Druckwellen von der FAZ und der Oberbürgermeistern von Frankfurt auf das Haus zurasten. Vor allem das Tempo, mit dem aus einer Kette von falschen Reaktionen eine große Affäre wurde, machte stutzig. Es schien doch nicht nur um einen Fall, sondern um die Verteidigung von Status und Kompetenz eines Kritikers zu gehen. Und wer ihm Recht geben wollte, wie etwa Joachim Lottmann in einem Spiegel-Artikel, suchte sich wiederum Jürgen Gosch als Feindbild aus. Sodass um dessen Inszenierung von „Macbeth“ ein Stellvertreterkrieg um die „richtige“ Theaterästhetik ausgefochten wurde.
Schon die Jury aus sieben Kritikern, die jährlich die Stücke für das Theatertreffen in Berlin auswählt, sah dies anders und stellte Goschs Inszenierung, die mit ungewöhnlicher Tempoführung dramatische Erwartungen unterläuft, zur Diskussion. Ihre Auswahl wird jetzt von der Umfrage in theater heute auch in anderen Punkten mehr als nur bestätigt. Denn auch der „Dramatiker des Jahres“, der Österreicher Händl Klaus, und die „Schauspieler des Jahres“, Katharina Schüttler und Felix Goeser, waren dort dabei. Das Staatsschauspiel Stuttgart, das mit einem Tschechow eingeladen war, erhielt die Nominierung zum „Theater des Jahres“, eine schöne Bestätigung für den neuen Intendanten Hasko Weber.
38 Theaterkritiker nehmen an der Umfrage teil. Ihre Meinung gilt, weil sich alle gerne an die Spielregel halten, das sei repräsentativ. Allerdings leidet dieses Ritual der Selbstbestätigung doch von Zeit zu Zeit und dieses Jahr besonders unter Überraschungslosigkeit. Gerhard Stadelmaier nimmt daran übrigens seit einigen Jahren nicht mehr teil, weil er den Sinn bezweifelt. Aber er schafft es eben auch ohne Teilnahme, dort einen ordentlichen Abdruck zu hinterlassen.
KATRIN BETTINA MÜLLER
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