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Manischer Fotograf

LANDESSCHAU Zweimal Kambodscha im Bundesplatz-Kino, mit einer fotografischen Vermessung durch Tim Page und einer Filmwoche

VON TILMAN BAUMGÄRTEL

Tim Page gehört zu der Art von Kriegsberichterstattern, die im Zeitalter des embedded journalism eine aussterbende Spezies sind. Ohne jemals eine formale Ausbildung als Fotograf erhalten zu haben, dokumentiert der Brite die blutigen Auseinandersetzungen in Vietnam, Laos und Kambodscha der 70er Jahre, später im Sechstagekrieg im Nahen Osten.

Zu diesem Job kam er durch Zufall: Nach einer Tour entlang dem „Hippie Trail“ durch Pakistan, Indien, Birma und Thailand gelangte er, gerade einmal 20 Jahre alt, 1965 nach Laos, wo er sich sein Geld als Agrikulturberater für die amerikanische Hilfsorganisation USAID verdiente. Sein erstes erfolgreiches Projekt soll eine Marihuanaplantage gewesen sein, sagt er heute. Durch Zufall gelang es ihm, Fotos eines gescheiterten Staatsstreichs gegen das von den USA unterstützte Regime in Laos zu machen. Die Exklusivaufnahmen brachten ihm einen Job bei dem Saigoner Büro der Nachrichtenagentur UPI ein und waren der Beginn einer fast fünf Jahrzehnte währenden Fotografenkarriere, die ihn in die verschiedensten Krisengebiete führte und während der er fünfmal schwer verletzt wurde.

Sein exzentrisches Verhalten und seine Drogenexzesse machten ihn selbst unter den hartgesottenen Vietnamberichterstattern zu einer Ausnahmefigur. Michael Herr schreibt in seiner berühmten Vietnamreportage „Dispatches“ über ihn. Und auch die Figur des manischen Fotografen, den Dennis Hopper in dem Coppola-Film „Apocalypse Now“ spielt, soll von Page inspiriert gewesen sein. Nach seiner Zeit in Südostasien arbeitete er als Rockfotograf für den Rolling Stone und Crawdaddy und fotografierte unter anderem die Verhaftung Jim Morrisons von den Doors bei einem Konzert in New Haven.

Der Auftrag, den Tim Page im vergangenen Jahr für die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit in Kambodscha erhielt, war da eine vergleichsweise harmlose Angelegenheit: Für die Entwicklungshilfeorganisation sollte der 69-Jährige, der inzwischen in Brisbane in Australien lebt, ehemals landlose Bauern fotografieren, die per Lotterie von der kambodschanischen Regierung einen Hektar eigenes Land bekommen hatten, um sich darauf eine Existenz aufzubauen. Nach Vorbild des amerikanischen Fotografen Richard Avedon – der diese Technik in seinem Band „In the American West“ einsetzte – ließ er die Bauern in einem improvisierten Studio vor einer weißen Plane mit den Produkten, die sie anbauen, posieren.

Die Bilder, die die Menschen mit Bananenstauden oder Reis zeigen, wurden später in einer Ausstellung im selben Dorf präsentiert. Nun sind sie bis Anfang April in Berlin im Foyer des Bundesplatz-Kinos zu sehen.

Zaghafte Entwicklung

Aus diesem Anlass wird in dem Kino bis zum 5. März auch eine Reihe mit Filmen aus Kambodscha gezeigt. Ein Dokumentarfilm des deutsche Regisseurs Nico Mesterharm über die Entstehung der Fotoserie läuft täglich um 17 Uhr auf der Kinoleinwand und ist danach bis zum Ende der Page-Ausstellung auf einer Videostation abrufbar. Ab 18 Uhr ist dann täglich ein anderer Film aus Kambodscha zu sehen.

Einen Überblick über die kambodschanische Filmszene, die sich in dem durch die Terrorherrschaft der Roten Khmer für Jahrzehnte ruinierten Land zuletzt wieder zaghaft entwickelt, sollte man von der Reihe allerdings nicht erwarten. Filme des diesjährigen Oscar-Kandidaten Rithy Panh fehlen etwa. Stattdessen stehen Dokumentarfilme im Mittelpunkt, die im Zusammenhang mit der deutsch-kambodschanischen Entwicklungszusammenarbeit entstanden sind und Einblicke in das Alltagsleben in einem der ärmsten Länder der Welt erlauben.

■ Die „Kambodschanische Filmwoche“ anlässlich der Tim-Page-Ausstellung im Bundesplatz-Kino, Bundesplatz 14, läuft bis 5. März, die Ausstellung ist bis 6. April zu sehen. www.bundesplatz-kino.de

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