ausgehen und rumstehen: Der Regen, die Pendler und das Sofa
Es regnete, und wir waren schon wieder im Lido. Am Freitagabend spielten Camera Obscura da, sechs großartig unattraktive Schotten mit ausgeprägtem Hang zu klassisch schöner Popmusik. Mit Orgeln und Rhythmusgitarren, Dreivierteltakten und frenetischem Jubel bei jedem Trompetensolo. So lieben wir das, so muss das sein. Dumm nur, dass der Mischer mit seinem Job nicht zurechtkam und die Band auf teilweise geliehenem Equipment spielen musste. Es wäre aber auch zu schön gewesen, so ein perfektes Konzert. Zum Heulen schön. Aber auch so war es gut – der kleinen Sängerin Tracyanne Campbell (nicht mit der notorischen Isobel verwandt, trotzdem gab es viele Belle&Sebastian-Tragetaschen im Publikum zu sehen) hätte ich jedenfalls noch nächtelang zuhören können.
Stattdessen ging es rüber ins Mysliwska, den Laden mit dem polnischen Namen, der nicht viel bedeutet, den Laden mit dem leckeren tschechischen Bier vom Fass. Ein Mittvierziger legte klassischen Rock ’n’ Roll auf, von „Blueberry Hill“ bis „Surfin’ Bird“. Meine Begleitung bestand aus einem frischgebackenen Pärchen aus dem Münsterland, das es jetzt mit Pendeln zwischen den Städten probiert. Wenn Freunde verliebt sind. X., der anreisende Teil des Paars, fragt, ob die Schlesische Straße das Indie-Viertel Berlins sei, mit dem San Remo um die Ecke und dem Tönz auf der anderen Seite. Und den vielen Läden am Kanal. Indie-Ballermann vielleicht, überlegen M. und ich, jedenfalls schreitet auch hier die Gentrifizierung mächtig voran, ein Superbiorestaurant wird auch bald eröffnen, und dann kommen noch die Millionen aus dem Bezirksförderprogramm. Die neue Kastanienallee ist das hier ja längst schon.
Samstag: Nein, ich war nicht beim Childish-Konzert. Mit ewig gleich klingendem, rückwärtsgewandtem Pubpunk Schrägstrich Sixties-Trash hab ich’s nicht so. Da ist mir Holly Golightly viel lieber, die hat wenigstens Pop-Appeal. Und den hat schließlich auch mein Nordmende-Fernseher. Also waren Sofa und wildes Fernsehen (neudeutsch: Herumzappen) angesagt. Was lief, war egal. Warum gibt es in der taz eigentlich keine Wildfernsehkolumne?
Sonntag: „Paul McCartney and Ringo Starr are the only Beatles in the world“, singt Devandra Banhart und hat nicht ganz recht damit. Schließlich lebt Pete Best, Ringos Vorgänger, auch noch irgendwo. Und der andere Drummer, der ihn mal ersetzen musste auf einer Australientour 1964, bestimmt auch. Aber nach denen werden keine Bars benannt, anders bei Ringo, der eigentlich Richard heißt, und nach dem jetzt eine Bar in der Sanderstraße, Nordneukölln, benannt ist.
Im „Ringo“ jedenfalls hocken um 9 noch wenig Leute, ein schweigsamer Wirt, ein Pärchen und in der Ecke an den hohen Heizkörpern zwei elegante Damen, eine davon mit Kegeln als Unterschenkel. Die Bar ist angenehm schlicht, möbliert mit Designgestühl aus den Fünfzigerjahren. Die Musik könnte etwas besser sein, jedenfalls lebt der Wirt erst einmal seine Vorliebe für Standard-Funk und Krimiserienmusik aus, erst später, als wir schon bereit sind, zu gehen, und der Laden zwischenzeitlich gut gefüllt war, wagt er sich in ambitionierte Jazzbereiche vor. „Yellow Submarine“ oder „Octopus’s Garden“ liefen jedenfalls nicht.
Wir redeten über Namen, das Geschäft, die Liebe zum Fußball, das verlorene Wochenende. Anscheinend habe ich Samstag einiges verpasst: Childish soll natürlich gut gewesen sein, dann gab es eine Party irgendwo in Mitte, außerdem war Nacht der offenen Museen, und irgendeine heiße Tanzveranstaltung hat bestimmt auch noch stattgefunden irgendwo. Von dem Fernsehprogramm, das ich mir stattdessen gegönnt habe, ist jedenfalls alles vergessen. RENÉ HAMANN
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