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Kammern sollen Geld einziehen

Mindestens 5.000 Jugendliche sind in Hamburg ohne Lehrstelle, warnt der DGB. Die Zahl der Schulabgänger bleibt bis 2020 konstant. „Kammerumlage“ soll Betriebe zur Ausbildung animieren

von KAIJA KUTTER

Die Idee einer Ausbildungsplatzabgabe in neuem Gewand hat gestern Hamburgs DGB-Chef Erhard Pumm vorgestellt. Da nur 16 Prozent der Betriebe ausbildeten, sollten Handels- und übrige Kammern in Eigenverantwortung eine „Umlage“ von den übrigen 84 Prozent der Betriebe einziehen. Dieses Geld sollten dann jene Firmen erhalten, die bereits ausbilden. „Ziel muss eine Stadt ohne Jugendarbeitslosigkeit sein“, sagte Pumm. Da jährlich tausende Jugendliche keinen Einstieg in die Gesellschaft fänden, müsse das Problem gelöst werden – „mit mehr politischen Druck“, so Pumm, „und über Geld“.

Ein entsprechendes Gesetz zu erlassen, wäre „durchaus“ möglich, ergänzte der DGB-Jugend-Vorsitzende Olaf Schwede: Die Stadt habe die „Rechtsaufsicht“ über die Kammern. Ein Vorteil sei, dass die Kammern ohnehin Beiträge von den Betrieben einzögen und daher der „bürokratische Aufwand“ gering wäre. Auch könne die Wirtschaft selbst steuern, in welchen Branchen ausgebildet werde. „In der Baubranche“, sagte Schwede, „gibt es so was schon.“

Nach DGB-Recherchen suchen in Hamburg zwischen 5.000 und 10.000 Jugendlichen vergeblich einen Ausbildungsplatz. Die offizielle Statistik „verschweige“ diese Realität aber. So führe die Agentur für Arbeit eine Vorauswahl durch, „eine Art Numerus clausus“, sagte Pumm. Von rund 27.000 „Ratsuchenden“ wurden im laufenden Jahr nur 7.187 auch als Bewerber gezählt. Entsprechend besuchen laut Schulstatistik weit mehr Schüler eine berufliche „Warteschleife“ als eine Berufsschule.

Zähle man alle Umlandbewerber und Rückkehrer aus diesen Warteschleifen hinzu, würden sogar „rund 20.000 junge Menschen auf den Ausbildungsmarkt drängen“, so Schwede. Hamburg schiebe mithin eine „Bugwelle“ vor sich her, die sich nicht durch Geburtenrückgang auflösen werde. So blieben die Schulabgängerzahlen noch weitere 14 Jahre lang über dem heutigen Niveau. Im Jahr 2010 dann, wenn in Folge der verkürzten Schulzeit ein doppelter Abiturjahrgang fertig wird, kämen gar 5.000 Abiturienten zusätzlich auf den Markt.

Das jüngste 1.000-Plätze-Programm des Senats reiche da nicht aus, ergänzte DGB-Jugendsekretärin Heike Gröpler: „Wir brauchen kein Pflaster, sondern einen Krankenwagen.“ Seit 1994 sei die Zahl der Lehrstellen um ein Viertel gesunken. Durch eine Umlage könnte ein Umdenken bei börsennotierten Firmen einsetzen, hofft Gröpler: „Die Controller würden Ausbildung auch als Einnahmeposition sehen.“

Davon hält man bei der Handelkammer nichts: Es gebe „kein Problem beim Ausbildungsengagement der Hamburger Wirtschaft“, betont Uve Samuels, Leiter des Bereichs Berufsbildung. Defizite entstünden vielmehr durch „fehlende Ausbildungsreife“ und „mangelnden Ausbildungswillen“ der Jugendlichen. Anders als vom DGB dargestellt, bildeten 5.000 der 9.000 ausbildungsberechtigten Mitgliedsunternehmen aus. „Weit über 50 Prozent“, so Samuels.

Der DGB bleibt bei seiner Sicht. Seine Zahlen fußen auf einem Städtevergleich, der auch die nicht ausbildungsberechtigten Betriebe einbezieht und bei dem Hamburg „das Schlusslicht bildet“, so Pumm. Er will jetzt mit den Parteien bereden, wie die Kammerumlage in den Bürgerschaftswahlkampf eingebracht werden kann. Allerdings lege sich in dieser Stadt „keiner gern mit den Kammern an“.

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