Das Beispiel leuchtet

ORGANIZING Peter Birke hat sich aufgemacht, zu entdecken, wie sich unorganisierte Arbeiter organisieren

„Die zahlreichen Konflikte, die das Organizing in den USA von Anfang an begleitet haben, werden übersehen“

PETER BIRKE

Nachhaltig hat sich der Arbeitsmarkt gegen Lohnforderungen gewappnet. Er schuf sich dafür Werkzeuge, die so schöne Namen tragen wie Deregulierung, Flexibilisierung oder Betriebsausgründung. Nur noch etwa jeder fünfte Arbeitnehmer in Deutschland ist in einem Bereich tätig, in dem er durch eine Gewerkschaft vertreten streiken darf. Testweise und weitgehend im Verborgenen haben Gewerkschaften wie Ver.di, IG Metall oder IG Bau mittlerweile allerdings das Feld der tariflich nicht geregelten Löhne, Gehälter und Arbeitsverhältnisse betreten.

„Organizing“ heißt das aus den USA importierte Zauberwort, das in diesem Feld zum Tragen kommt. Was es bedeutet, hat Ken Loach mit dem Melodram „Brot und Rosen“ anschaulich gemacht. Aus der Perspektive der jungen Mexikanerin Pilar, die illegal in Los Angeles lebt, schildert der Film die erfolgreiche Intervention der US-amerikanischen Dienstleistungsgewerkschaft SEIU bei Büroreinigungsfirmen, die in großem Stil Illegale beschäftigen. „Justice for Janitors“ hieß diese Kampagne von 1990.

Im Prinzip besteht Organizing darin, durch Abgesandte der Gewerkschaft prekär oder zu Mangellöhnen Beschäftigte einer Firma zum Gewerkschaftsbeitritt zu motivieren und Arbeitskämpfe beratend zu begleiten. Im bundesweiten Organizing-Bereich von Ver.di sind sieben Leute beschäftigt, die meisten mit befristeten Verträgen.

In eine leidenschaftliche Liebesgeschichte, wie bei Loach, mündet das Verhältnis zwischen Gewerkschaftsfunktionär und prekärer Arbeitskraft in der Realität selten, wie Peter Birke in seinem Buch „Die große Wut und die kleinen Schritte“ herausarbeitet. „Das Beispiel leuchtet so stark, dass die zahlreichen Konflikte übersehen werden, die das Organizing in den USA von Anfang an begleitet haben“, schreibt er. Dabei hat er, wie übrigens Loach auch, vor allem „paternalistische Politik“ im Blick. Diese führe anstatt zur Aktivierung der Belegschaften durch eine „sinkende Handlungsmacht der betrieblichen Basis zu einer Verschlechterung der materiellen Resultate des gewerkschaftlichen Einsatzes“.

Birke, der Teil der Hamburger Bürgerrechtsgruppe „Blauer Montag“ ist, gibt einen anekdotenreichen Überblick über die jüngsten Versuche, in Deutschland nach dem Vorbild der SEIU nicht organisierte Arbeitende zu werben und Kämpfe anzuzetteln.

Stationen seiner Recherchereise sind das mit vier Organizern bestrittene Projekt im Hamburger Wach- und Sicherheitsgewerbe im Jahr 2006, die Kampagne bei einem outgesourcten Logistikbetrieb des Otto-Konzerns, die 2007 branchenübliche Löhne forderte, ein seit 2008 laufendes Projekt gegen Auslagerung von Betriebsteilen am Uniklinikum Göttingen, der Versuch der IG Bau, im Rahmen des Unistreiks 2009 an der Hamburger Hochschule für Wirtschaft und Politik die Arbeitsbedingungen der Putzkräfte auf dem Campus zu verbessern, und viele mehr.

Doch wo man auch hinblickt, die Ergebnisse sind spärlich. So wird für die Hamburger Wachmänner der Stundenlohn von 6,10 Euro auf 6,34 Euro angehoben. Abgesehen von einigen Gewerkschaftsbeitritten gelang es keinem der Projekte, nachhaltige Strukturen zu schaffen, um gegebenenfalls die Kämpfe wieder aufnehmen zu können.

Trotz seiner im zweiten Teil des Buchs ausführlich referierten Sympathie für gewerkschaftsferne Organisierungsversuche der 1970er, hält sich Birke am Ende mit einer Verurteilung der gewerkschaftlichen Ambitionen, die Unorganisierten zu organisieren, zurück. Erfolge des Organizings, das er sich doch so genau angesehen hat, seien „schwer messbar“ und womöglich gebe es eine „untergründige Kontinuität“. Vielleicht könnten sie sogar einen Beitrag zu dem leisten, „was die Operaisten früher als Umschlag von der technischen in eine politische Zusammensetzung der Klasse bezeichnet haben“.

Ja, würde dazu der Negri-Schüler sagen, dem dieses Vokabular sehr vertraut ist. Aber zugleich müssten sie aufhören, identitäre, also reine Arbeitskämpfe zu führen und sollten sich lieber nach Koalitionären aus anderen gesellschaftlichen Bereichen umsehen, um beispielsweise ein bedingungsloses Grundeinkommen zu fordern.

CHRISTIANE MÜLLER-LOBECK

Peter Birke: „Die große Wut und die kleinen Schritte“. Assoziation A, Hamburg 2010, 192 S., 12,80 Euro