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Alle Jahre wieder

EUROPA LEAGUE Vor dem Spiel gegen die Young Boys Bern steckt der VfB Stuttgart in seiner Herbstkrise und droht in einer noch zu schaufelnden Bahnhofsbaugrube zu versinken

AUS STUTTGART JÜRGEN LÖHLE

Der Schwabe an sich gilt als ein etwas behäbiger Zeitgenosse. Diese Tugend macht sich seit Jahren das internationale Kickerensemble des VfB Stuttgart zu eigen, das mit schöner Regelmäßigkeit den Saisonstart verpennt, um dann so ab Mitte November das Feld von hinten aufzurollen. In der Bundesliga kreist seit Langem die Geschichte, dass eine Mischung aus Leverkusen (Vorrunde) und Stuttgart (Rückrunde) unschlagbar wäre.

In dieser jungen Saison übertreffen sich die startschwachen Schwaben aber selbst. Null Punkte nach drei Spielen. So mies begann nicht einmal die Abstiegssaison 1974/75 oder die Spielzeit 2006/2007, als man am Ende sogar den Titel holte. Vor einem Jahr sägte Markus Babbel mit vier Punkten aus drei Spielen seinen Stuhl an, von dem er dann im Dezember 2009 kippte. Christian Gross übernahm die Mannschaft auf einem Abstiegsplatz und führte den VfB als beste Rückrundenmannschaft noch in die Europa League. Dort geht es heute Abend zum Auftakt der Gruppenphase gegen die Young Boys aus Bern, und sollte die Mannschaft gegen die Landsleute von Gross verlieren, steht der kantige Trainer mit dem Image des harten Hunds voll im herbstlichen Gegenwind. Schließlich hatte bereits nach der Niederlage in Freiburg Erwin Staudt den Spielern den Marsch geblasen, was der VfB-Präsident höchst selten tut.

Also bereits „Alarmstufe eins beim VfB“, wie in Stuttgart zu lesen war? Verlieren sie heute das Heimspiel gegen Bern, dann zumindest Alarmstufe zwei. Und ginge es am Samstag in der Liga gegen Gladbach noch mal schief, dann würde der Verein in der bisher nur gedachten Baugrube von Stuttgart 21 versinken.

Aber woran liegt es, dass die Schwaben wieder mal kraftlos durch den Frühherbst stolpern? Die Analyse der Probleme hangelt sich natürlich an der Person des Trainers entlang, das ist üblich in dem Geschäft. Man kann Gross aber keinen Vorwurf daraus machen, dass mit Sami Khedira, Jens Lehmann und Alexander Hleb einige spielerische Qualität gegangen ist. Gross kann auch nichts dafür, dass der neue Manager Fredi Bobic als Nachfolger von Horst Heldt erst installiert wurde, als der Spielermarkt schon ziemlich abgegrast war. Und letztlich liegt es auch nicht am Trainer, dass sich die Neuen Philipp Degen und Johan Audel mit langwierigen Verletzungen gleich wieder auf unbestimmte Zeit verabschieden mussten.

Aber das Team hat trotzdem viel mehr Klasse, als es gerade zeigt. Und wenn man gesehen hat, wie gottergeben sich der VfB trotz Führung in Freiburg aus dem Spiel hat drücken lassen, drängt sich schon der der Gedanke auf, dass da ein wenig Sand im Innenverhältnis knirscht. Kapitän Cacau hat zwar gerackert, der Rest sich aber eher ergeben, und auch der italienische Neuzugang Mauro Camoranesi glänzte wenig weltmeisterlich.

Im Umfeld wird denn auch schon mal ein wenig in Richtung Gross geknurrt – wenn auch noch leise. Sein Training im Sommer sei zu hart gewesen, ist zu hören. Deshalb seien Spieler wie Cristian Molinaro oder Christian Träsch, Leistungsträger der vergangenen Saison, jetzt eher platt. Nicht jeder teilt auch die harte Haltung von Gross gegenüber Nationalspieler Serdar Tasci. Der fand sich nach der WM zunächst auf der Bank wieder, was angesichts der wenig prickelnden Leistungen von Khalid Boulahrouz und Georg Niedermeier nicht nur Tasci selbst ein wenig irritiert hat.

Noch hat Gross die Autorität, seine harte analytische Linie mit Rückendeckung des Vereins durchzuziehen. Drei Niederlagen machen noch keine Krise. Aber man hört trotzdem erste Signale. Eines sendete Manager Bobic gestern per Interview in der Stuttgarter Zeitung: „Es hilft natürlich nicht weiter, die Mannschaft kaputtzutrainieren. Da muss man feinfühlig sein.“

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