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Die Ware Kundenservice

Nicht nur Theater, auch selbst recherchierter Alltag: „Einfache Dienstleistung“ in der Koproduktion von Dirk Cieslaks Theaterformation „Lubricat“, den Sophiensaelen und Anne Tismers Ballhaus Ost

VON ESTHER SLEVOGT

Eine Bühne mit drei Hockern, dahinter eine abstrakte, grün schimmernde Videoprojektion. Als sonore Sprechkonserve dringen höchst komplexe Theorien zum Thema Arbeit in den Saal. Tenor: Die Arbeitswelt breitet sich immer weiter aus und nistet sich selbst tief in der Seele ein. Und macht aus Individuen Dienstleister, deren ganze Existenz auf das Funktionieren am Markt ausgerichtet ist. „Verkaufen! Verkaufen!“, wird später einer der Darsteller skandieren und hinter eingeübten Marketingposen aussehen, als stehe sein physischer Zusammenbruch unmittelbar bevor.

Doch vorerst serviert Dirk Cieslaks Theaterformation „Lubricat“ das theoretische Korsett des Abends, und die trockenen Sentenzen über die Radikalisierung der Entfremdung in der Dienstleistungsgesellschaft vom Band klingen oft ziemlich komisch. Todernst hingegen guckt eine etwas verhuschte Frau auf der Bühne, die konzentriert und laut atmend ein Billy-Regal zusammenschraubt, um das in einigermaßen unentfremdeter Arbeit zustande gekommene Produkt stolz ihrem Publikum zu präsentieren.

Die Schauspielerin heißt Anne Tismer. Vor einiger Zeit floh sie vor den entfremdeten Arbeitsbedingungen einer staatlich subventionierten Bühne auf die eines alten Ballhauses in Prenzlauer Berg. Zum ersten Mal arbeitet sie mit Dirk Cieslak zusammen, dessen neue Produktion „Einfache Dienstleistung“ deshalb nicht wie gewohnt in den Sophiensaelen, sondern im Ballhaus Ost stattfindet. Schon lange bevor am Donnerstagabend im Ballhaus Ost das Licht auf der Bühne anging, waren die drei Schauspieler in ihre Rollen geschlüpft, um für das Theaterprojekt im richtigen Leben zu recherchieren, das auch nicht mehr das ist, was es mal war.

Neben Anne Tismer als unauffällige Pauschalkraft Edda Pommer sind Niels Bormann als Verkaufskanone Holger Wetter und Rahel Savoldelli als scheu lächelnde Allround-Servicekraft Katja Flietz mit von der Partie. Wir befinden uns in der Welt der Ich-AGs, Arbeitsagenturen, Job- und Assessment-Center, wo Menschen zu Arbeitskräften normiert werden, ihnen in Bewerbungstrainings die Persönlichkeit ab- und totale Marktkonformität angewöhnt wird. „Kreativ sein“, „freundlich sein“ , „flexibel sein“, buchstabiert die Videowand das Trainingsprogramm. Diashows (von Santiago Blaum) zeigen das Trio im Einsatz an potenziellen Arbeitsplätzen. Live werden kleine, im Rahmen der Recherche für diesen Abend teils selbst erlebte Szenen gespielt, die oft lustig, aber eigentlich ziemlich gruselig sind und für die Zukunft der Gattung Mensch Schlimmes befürchten lassen.

Denn in den vorgeführten Bewerbungsgesprächen, Motivations- und Verkaufsstrainingseinheiten ist viel gefragt, bloß keine Menschlichkeit. Jedenfalls nicht, solange sie kein Dienst am Kunden ist. Da baut sich beispielsweise Holger Wetter vor dem Publikum auf und demonstriert, wie er als Verkäufer die beste Performance bringt, wenn er Freundlichkeit und Nähe simuliert. Der Kontakt zum Kunden wird per Blickkontakt aufgenommen und mit luzide gemanagter Ökonomie von Nähe und Distanz zum unentrinnbaren Netz gesponnen. Edda Pommer ist froh über ihr unscheinbares Äußeres. Wäre sie hübscher, könnte das die Kunden einschüchtern und zu schlechten Verkaufsergebnissen führen. Im Übrigen nimmt sie gern an Online-Bewerbungsverfahren teil und verinnerlicht schon während des virtuellen Bewerbungsprozesses die jeweilige Firmenphilosophie, bis sie Teil ihres Denkens und Fühlens geworden ist. Schade nur, dass sie nie die geforderten Qualifikationen bringt.

Auch Katja Flietz, die eigenwilligste Erscheinung des Service-Trios, hinkt mit ihren Anpassungsversuchen hinterher. In einer Schulung lernt die attraktive junge Frau, wie man mit Annäherungsversuchen männlicher Kollegen umzugehen hat, ohne das Betriebsklima zu schädigen.

Die kleinen Spielszenen reizen immer wieder zum Lachen, sieht die Dienstleistungswelt darin doch wie absurdes Theater aus. Gleichzeitig schicken Cieslak und seine hervorragenden Schauspieler die Zuschauer auf den Horrortrip, um ihr Lachen schockzufrosten: etwa wenn Holger Wetter alias Niels Bormann am Schluss seinen Arbeitsplatz räumt und vorher mit einem scharf riechenden, chlorhaltigen Putzmittel reinigt, von jeder Mikrobe, die seine Existenz dort hinterlassen könnte – mit einer Energie, die an Selbstauslöschung grenzt.

1.–3. und 7.–10. September, 21 Uhr, Ballhaus Ost, Pappelallee 15, Prenzlauer Berg

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