PRESS-SCHLAG: Lizenz zum Durchwursteln
BUSINESS Der deutsche Profifußball boomt, sagt die Liga. Mit solidem Wirtschaften hat das oft nichts zu tun
Der 6. Mai 2012 war für die Fans des FC St. Pauli von 1910 ein denkwürdiger Tag. Nachdem man den SC Paderborn mit 5:0 abgefertigt hatte, wurde Abschied genommen – von der alten Gegengerade. Sie sollte einem Neubau weichen. Die Fans nahmen also alles mit, was sie ihrer baufälligen Heimat entreißen konnten. Die Ordner am Ausgang jedoch kassierten ab – zumindest sollten sie das. Geschichtsbewusst wurden 19,10 Euro für eine plattgesessene Sitzschale verlangt. Bald türmte sich ein Plastikberg neben den Sicherheitskräften. Ein routinierter Gegengradler schnaubte verächtlich, dass er seinen Sitz in den letzten Jahrzehnten doch wohl mehr als bezahlt habe.
Die Anekdote macht deutlich: Der deutsche Profifußball ist ein äußerst ambivalentes Geschäft. Die Sozialromantik der Fans ist längst ein Bestandteil profitorientierter Strukturen geworden. Die Bundesliga ist zum Produkt geworden, zu einem, das sich hervorragend verkaufen lässt.
Die DFL, der Dachverband aller 36 Bundesligaklubs meldet Jahr für Jahr neue Umsatzrekorde. In der Saison 2012/2013 haben sie fast 2,5 Milliarden Euro umgesetzt. 21 der 36 Klubs haben Gewinn gemacht. 850 Millionen Euro Steuern brachte der Lizenzfußball dem Fiskus. 1.000 neue Arbeitsplätze wurden geschaffen – insgesamt arbeiten mittlerweile 45.214 Menschen im nationalen Großunternehmen Bundesliga.
Die Zahlen sehen gut aus – und sie werden wahrscheinlich nach der laufenden Saison noch besser sein. Veröffentlicht hat sie Ende Februar die DFL – im Bundesliga-Report 2014. Der alljährliche Finanzbericht soll zeigen, wie gut die Klubs wirtschaften. Wirklich aussagekräftig ist die Analyse nicht.
Denn die Zahlenspiele bleiben stets allgemein. Begriffe wie negatives Eigenkapital oder Verschuldungsgrad tauchen nicht auf. Dabei ist längst bekannt, dass gerade in der zweiten Bundesliga etliche Vereine Probleme haben.
Die Hälfte aller Zweitligaklubs hat in der vergangenen Saison Verluste eingefahren. Auch der Verschuldungsgrad bei einigen Bundesligisten wie dem Hamburger SV oder Schalke 04 darf – vorsichtig gesagt – als problematisch bezeichnet werden. Und hätte bei der TSG 1899 Hoffenheim in der Saison 2010/2011 ein laut Bilanz „atypisch stiller Gesellschafter“ (Wer mag das wohl sein?) nicht einen hohen Fehlbetrag ausgeglichen, wäre es wahrscheinlich für die Kraichgauer eng geworden.
Die DFL interessiert sich in erster Linie für die Liquidität der Klubs. Woher das Geld kommt, um die Lizenz zu sichern, ist nicht ganz so wichtig. Da kann man dann schon mal zukünftige Einnahmen verpfänden. Beim Ligaverband wünscht man sich zwar nachhaltiges Wirtschaften, kann aber niemanden dazu zwingen. Am Ende erteilt die DFL oft nichts anderes als die Lizenz zum Durchwursteln.
Geld – gerne auch viel davon – sichert die Konkurrenzfähigkeit. Sozialromantik nicht. Der ebenso sachliche wie ehrliche Spruch eines ehemaligen Funktionärs, der für viele aktive Manager stilprägend sein dürfte, gilt: „Wir wollen maximalen sportlichen Erfolg bei Vermeidung der Insolvenz.“ Dafür müssen dann auch schon mal Sitzschalen herhalten. JAN SCHEPER
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