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Mit vollem Risiko

Großer Wurf: Mit dem „Sommernachtstraum“ ist Thomas Ostermeier und der Choreografin Constanza Macras gelungen, worauf man gewartet hat, seit er die Schaubühne übernahm – die produktive Verbindung von Schauspiel und Tanztheater

Es ist ein Spiel mit hohem Körpereinsatz; grausam, clownesk, animalisch, artistischDie Inszenierung findet immer wieder neue Bilder und Erzählweisen

von KATRIN BETTINA MÜLLER

Liebe ist nicht gerecht. Sie ist keine Frage von Verdienst. Sie kommt und geht mit der Willkür eines Spuks, unerklärbar und verstehbar kaum für den, den sie befällt. Wer sie nicht will, dem wirft sie sich an den Hals und springt ihm ins Kreuz. Wo sie aber gebraucht wird, da will sie nicht hin und rennt und flüchtet mit flinken Füßen. Das alles kann man sehen und fühlen in dem „Sommernachtstraum“, den Thomas Ostermeier und Constanza Macras an der Schaubühne inszeniert haben.

Es ist ein ruppiges Spiel mit hohem Körpereinsatz; grausam, clownesk, animalisch, artistisch. Das Bühnenbild von Jan Pappelbaum sorgt mit zwei Treppen, einem langen Balkon, Kletterwänden und vielen Türen für ein Hoch und Runter, Hin und Her, Raus und Rein, dass dem Sich-Finden und Sich-Verlieren wörtlich Tür und Tor geöffnet sind. Tänzer und Schauspieler schonen sich nicht. Die Wahrheit versucht hier, als physische Wahrhaftigkeit aufzutreten. Seht, wie ich mich werfe und fallen lasse, das Risiko suche und den Kick. Wie ich mich ausliefere, den Schmerz nicht vermeide und Peinlichkeit nicht scheue. Schaut zu, wie mich die Liebe aus der Bahn wirft, umhaut und plattmacht. Wie eine Sensation auf dem Jahrmarkt bietet dieses Spiel sich an. Aber nicht nur die Haltung der Künstler ist exhibitionistisch, sondern übergroßer Entäußerungsdrang stellt auch jenen Druck in dem Kessel der Gefühle her, von dem sie erzählen.

Deshalb macht es Sinn, dass von Zeit zu Zeit Fetzen eines Vortrags zu hören sind, der wahrscheinlich auf Freud zurückgeht, über den Exhibitionisten, seine Lust, sein Interesse am Zuschauer und an der Strafe. In der Übertreibung und Verausgabung, im sich produzieren und zur Schau stellen ahmt die Inszenierung im Verhältnis zu ihrem Publikum etwas nach, von dem das Stück von Shakespeare immerzu handelt. Und deshalb ist dieses krude, alberne und manchmal auch höchst poetisch und zärtliche Stück Tanztheater tatsächlich eine sehr treffende Umsetzung vom „Sommernachtstraum“, auch wenn von den Sprachduellen nur ein kleiner Teil geblieben ist.

Auf andere Art und Weise allerdings zeigt die Inszenierung ihre Begeisterung für Shakespeares Sprachmacht, ihren musikalischen Klang und die Fähigkeit, mit wenigen Worten gleich sehr weit weg zu segeln. Zu den Performern gehören drei Musiker, die am Rand der Bühne sitzen und das Stück mit hartem Rock, barocken Tänzen, Opernarien und akustischen Slapstikakzenten begleiten. Einer der Musiker, Alex Nowitz, Komponist und Countertenor, nimmt sich der englischen Verse der Szenen der Verzauberung an, so lautmalerisch, so ohrumschmeichelnd, so flirrend zwischen Klang und Körper, Wirklichkeit und Traum, dass sich tatsächlich mit jedem Vers neue Räume öffnen und die Szene wandelt.

Bevor der „Sommernachtstraum“ am Samstag in Berlin Premiere hatte, wurde er schon im Juli in Athen aufgeführt, koproduziert vom Hellenic Festival Athen. Da konnte ich das Stück, eingeladen vom Hellenic Festival, schon einmal sehen und habe mich seitdem auf diese Eröffnung der Spielzeit an der Schaubühne gefreut. Noch in keiner Inszenierung zuvor haben sich Schauspiel und Tanztheater so produktiv verbunden. Mit der Choreografin Constanza Macras zusammen ist Thomas Ostermeier etwas gelungen, worauf man seit der Zeit, als er mit Sasha Waltz die Schaubühne übernahm, wartete. Mit Waltz kam eine konkrete Zusammenarbeit nie zustande, sondern erst mit Macras, die von Waltz und Jochen Sandig mit anderen Stücken an die Schaubühne eingeladen worden war.

Besonders die Schauspieler Lars Eidinger, Robert Beyer und Jörg Hartmann aus dem Ensemble der Schaubühne scheinen das Spiel mit unterschiedlichen Darstellungsweisen zu genießen. Lars Eidinger spielt nicht nur den Liebe-Suchenden und von Liebe-Verfolgten, sondern auch eine kurzsichtige Elfe, mit viel zu kleinen Flügeln und einem nur schlecht funktionierenden Zauberstab, die sozusagen schon das ganze Unglück verkörpert, das ihre Aktionen dann später auslösen werden. Robert Beyers (S)puck leiht sich seine Gestalt aus dramatischen (Torero) und kindlichen (Bienen Maja) Figuren zusammen. Jörg Hartmann redet in einem übermütigen Kauderwelsch, halb Fremd-, halb Comicsprache, aus dem nur einige Begriffe verständlich herauspurzeln, die das Denken aber trotzdem auf die richtige Spur setzen.

Die Inszenierung findet für den Enthusiasmus, die Blindheit und die Grausamkeit der Liebe immer wieder neue Bilder und Erzählweisen, die aber die Vorstellungskraft nicht besetzen und eingrenzen, sondern ihr mit einem irritierenden Rest ständig neue Anstöße geben. Dieses Offenhalten der Bilder und Bedeutungen ist eine der Stärken in der Handschrift von Constanza Macras, die jetzt zum ersten Mal nach einer dramatischen Vorlage gearbeitet hat. Das hat auch ihr mehr Überzeugungskraft verliehen.

Nächste Vorstellungen: 7. bis 10. September, jeweils 20 Uhr, Schaubühne am Lehniner Platz

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