: Dienstleistung hat goldnen Boden
Die Dienstleistungsgesellschaft ist längst Realität und bietet Chancen für die Zukunft. Doch die deutsche Wirtschaftspolitik scheint diesen Strukturwandel zu verschlafen
Vorige Woche beschloss die Bundesregierung im Rahmen ihrer „Hightech-Strategie“ ein neues Dreijahresprogramm: Projekte aus Forschung und Entwicklung werden dabei mit 14,6 Milliarden Euro gefördert. Teil davon ist ein zusätzliches 6-Milliarden-Programm. Dieses Paket soll für einen gesamtwirtschaftlichen Innovationsschub sorgen. Im Mittelpunkt stehen die üblichen Highlights der technischen Innovation: rote, grüne, weiße Biotechnologie, Nanotechnologie, Kraftwerkstechnologie. Um Dienstleistungen geht es wieder mal nur am Rande.
Das hat System. Denn Dienstleistungsorientierung hat in Deutschland keine Tradition. Dabei werden in Deutschland schon heute 70 Prozent der gesamten Bruttowertschöpfung im Dienstleistungsbereich erarbeitet, Tendenz steigend. Und wichtiger noch: In den letzten 14 Jahren sind im Dienstleistungssektor 4,7 Millionen neue Arbeitsplätze entstanden, die Beschäftigtenzahlen im produzierenden Gewerbe hingegen sanken um 3,8 Millionen.
Neue Jobs können zum einen durch unternehmensorientierte Dienstleistungen entstehen. Viele, auch kleine und mittlere Firmen bewegen sich auf komplexen Märkten. Ob bei der Finanzierung, dem Vertragswesen oder bei IT-Systemen – hier ist professionelle Unterstützung der Schlüssel zum Erfolg. Marktführerschaft gewinnt man künftig weniger über Güter, sondern über Systemführerschaft bei komplexen Dienstleistungen. Hier entstehen jede Menge Chancen für Hochqualifizierte.
Zum anderen wird es in Deutschland auch immer mehr verbrauchernahe Dienstleistungen geben: Kundenservice im Verkauf, Serviceangebote für zeitknappe Berufstätige, Hilfsdienste für eine alternde Bevölkerung spielen hier ein große Rolle. Für solche Jobs sind grundsätzlich auch niedrig Qualifizierte geeignet, die einen Großteil der Langzeitarbeitslosen ausmachen. Um eine ausgewogene Wirtschaftsentwicklung zu erreichen, müssen unternehmens- und verbraucherorientierte Dienstleistungen gleichermaßen gefördert werden.
Doch die deutsche Wirtschaftspolitik scheint den Strukturwandel zu verschlafen. Das hat zum Teil recht banale Gründe. Die SPD wurde mit dem Thema Dienstleistung nie so recht warm: Ihr fallen dabei nur Dienstboten ein, und damit will man nichts zu tun haben. In der CDU wird Wirtschaftswachstum immer noch an der Zahl der Baukräne und der Patente gemessen. Produkte, die man nicht mit Händen greifen kann, passen nicht ins traditionelle Bild.
Das Imagedefizit hat Folgen, Investitionen in Dienstleistungsforschung und -innovation bleiben zurück. Im OECD-Schnitt gehen 19 Prozent der Forschungs- und Entwicklungsinvestitionen in den Servicebereich, in Deutschland lediglich 4 Prozent. Die Forschungsförderung konzentriert sich auf anspruchsvolle Hightech-Innovationen, von denen eine größere Vielfalt und Zahl neuer Arbeitsplätze nicht zu erwarten sind. Auch im jetzt aufgelegten 6-Milliarden-Euro-Programm geht kaum mehr als ein Prozent der Gelder Richtung Dienstleistungssektor.
Auch die Existenzgründer im Dienstleistungssektor leiden unter der deutschen Fixierung auf technische Spitzentechnologie. Banken finanzieren immer noch lieber neue Produktionsstätten als Existenzgründungen mit viel Know-how, aber wenig Maschinen. Güterproduzenten gelten nach wie vor als verlässlicher. Besonders fatal sind die Versäumnisse im Ausbildungsbereich. Jahr für Jahr wird über fehlende Ausbildungsplätze geklagt. Jahr für Jahr wird zur Kenntnis genommen, dass der Ausbildungsplatzschwerpunkt in der Produktion liegt und die Dienstleistungsbranche nur unterdurchschnittlich ausbildet. Da Dienstleiter 75 Prozent aller Unternehmen ausmachen, sind die Folgen erheblich. Doch es fehlen nicht nur Ausbildungsplätze: Zugleich werden viel zu viele Jugendliche auch auf dem falschen Gleis in die Zukunft geschickt. Denn wer für die Produktion ausgebildet wird, schafft später oft nicht mehr den Wechsel zur Dienstleistung. Es verlagern sich zwar in großer Zahl Arbeitsplätze von der Produktion in die Dienstleistung. Die bisherigen Arbeitskräfte bleiben dabei aber auf der Strecke.
Bisher sind wir Exportweltmeister nur in der Produktion. Exportiert werden zu weit über 80 Prozent Waren, Dienstleistungen liegen bei circa 15 Prozent. Hält der Strukturwandel an – und das wird er –, steht unser Weltmeistertitel auf tönernen Füßen. Wir importieren mehr Dienstleistungen, als wir exportieren. Doch statt offensiv für gemeinsame Standards und offene Märkte auch im Dienstleistungsbereich einzutreten, lassen wir uns von unserer Furcht vor ausländischen Arbeitskräften und HandwerkerInnen zur Abschottung drängen.
Auch in Deutschland hat die Diskussion um die EU-Dienstleistungsrichtlinie mehr Angst als Aufbruchstimmung ausgelöst. Dabei gibt es gerade bei Dienstleistungen sogar einen InländerInnenbonus. Personenbezogene Dienstleistungen leben nun mal von Serviceorientierung, dem Begreifen und Bedienen der spezifischen KundInnenbedürfnisse. Und da tun sich diejenigen leichter, die Sprache und gesellschaftlichen Hintergrund teilen.
Nicht übersehen sollten wir allerdings, dass die Pro-Kopf-Produktivität gerade im personalintensiven Bereich der haushaltsnahen Dienstleistungen niedriger ist als im produzierenden Gewerbe. Es wird weniger erwirtschaftet, während die Angestellten und prekär Beschäftigten bei den einfachen Dienstleistungen oft erschreckend wenig verdienen. Dabei werden viele vorhandene Arbeitsmöglichkeiten gar nicht erst zu Arbeitsplätzen, weil die zu erwartenden Einnahmen keine Arbeitskraft finanzieren. Hier ist der Staat gefragt, um neue Erwerbsmöglichkeit für Niedrigqualifizierte zu erschließen, von denen alle profitieren: die „Kunden“ durch bessere Lebensqualität (etwa in der Pflege oder bei der Kinderbetreuung), die Beschäftigten durch eine neue Erwerbsperspektive und die Gesellschaft durch Aktivierung brachliegender Potenziale.
Das Prinzip „Leistung statt Produkt“ schafft aber nicht nur Arbeitsplätze aller Art, sondern birgt auch ein großes ökologisches Potenzial. Während die Produktion neuer Waren oft neue Schadstoffbelastungen und steigenden Ressourcenverbrauch mit sich bringt, leben viele neue Dienstleistungen im Kern von Ideen und Engagement. Außerdem sind Arbeitsplätze im Dienstleistungsbereich auch besonders nachhaltig. Während dem Hype um ein neues Produkt früher oder später unweigerlich die Übersättigung mit entsprechenden Entlassungswellen folgt – man denke zum Beispiel an das rasche Ende des Handybooms –, entstehen bei Dienstleistungen meist dauerhafte Geschäftsbeziehungen und damit auch Arbeitsplätze.
Die Dienstleistungsgesellschaft kommt und bietet viele Chancen. Wir brauchen einen Staat, der dies nicht nur in Sonntagsreden zur Kenntnis nimmt.
SILKE KREBS
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen