: Nackt im Gefängnis tanzen
REGENBOGENNATION Nelson Mandela beim Boxen: Der Band „Südafrikanische Fotografie 1950–2010“ ist ein Kompendium gesellschaftlich engagierter Fotografie
VON WILFRIED WEINKE
Schon das Titelfoto des Bandes „Südafrikanische Fotografie 1950–2010“ verweist sinnbildhaft auf die kämpferische Auseinandersetzung der schwarzen Bevölkerungsmehrheit gegen die Apartheid. Es zeigt den jungen Rechtsanwalt Nelson Mandela, nicht im Outfit eines Anwalts, sondern im Trainingsanzug eines Boxers. Während eines Prozesses wegen vermeintlichen Hochverrats 1957 entspannte er sich beim Boxen.
Das Foto, eine Ikone südafrikanischer Fotografie, stammt von Bob Gosani (1934–1972). Er fotografierte die „Defiance Campaign“ 1952, eine Kampagne für zivilen Ungehorsam, aber erstellte auch eine Serie von jener „Tausa“ oder Zulatanz bezeichneten Körperuntersuchung, während der Gefangene eines Johannesburger Gefängnisses sich nackt ausziehen und tanzen mussten, um zu sehen, ob sie Konterbande ins Gefängnis schmuggelten. Die Fotos, heimlich aufgenommen und in der Zeitschrift Drum veröffentlicht, nötigten die südafrikanische Regierung, diese entwürdigende Behandlung von Gefängnisinsassen zu stoppen. Bob Gosani ebenso wie Peter Magubane dokumentierten 1955 die Zwangsräumung von Sophiatown, einem der kulturell lebhaftesten Townships Johannesburgs. Und es war ebenfalls Peter Magubane, der das Sharpeville-Massaker 1960 in mehreren Fotos festhielt. Bei einer Demonstration gegen die südafrikanischen Passgesetze töteten damals Polizisten 69 Menschen und verwundeten mehr als hundert Menschen.
Erschossen beim Soweto-Aufstand
Auch ein weiteres, weltweit bekanntes Foto findet sich im Band, der ein wertvolles Kompendium zur gesellschaftlich engagierten Fotografie in Südafrika bildet. Es ist das Foto des 12-jährigen Hector Pieterson, der beim Soweto-Aufstand im Juni 1976 erschossen wurde. Sam Nzima, der damals als Fotograf für The World, einem Blatt für schwarze Leser arbeitete, schuf damals eine ganze Serie von Fotos, die die traurige Dramatik des durch Polizeikugeln unterbundenen Protestes in anklagender Weise dokumentierten.
Der mit deutschen und englischen Begleittexten ausgestattete Fotoband erfasst das soziale wie das politische und das kulturelle Leben Südafrikas, in drei Perioden unterteilt: das Leben unter der Apartheid 1950–1976, das Wiederaufleben des Kampfes und das Ende der Apartheid 1976–1994 sowie das Kapitel „Freiheit“ 1994–2010. Zahlreiche Fotos entstanden im Umfeld des legendären Magazin Drum, das wesentlich durch den aus Berlin stammenden Jürgen Schadeberg geprägt ist. Bob Gosani und Peter Magubane wurden seine Schüler; für sie wie später für Alf Kumalo oder Ernest Cole war er Vorbild und Förderer zugleich. Dass auf diese besondere Leistung und Bedeutung Jürgen Schadebergs nicht eingegangen wird, verwundert. Warum keines seiner Fotos Eingang in diesen beachtlichen Band gefunden hat, bleibt unerklärlich.
Fotografien von David Goldblatt, George Hallett, Cedric Nunn, Andrew Tshgabangu oder Santu Mofokeng runden den prächtig illustrierten Fotoband ab. Sie liefern ebenso subtile wie auch sehr sensible Blicke auf die gegenwärtige südafrikanische Alltagsgesellschaft. Differenzierte Blicke auf eine junge (Regenbogen-)Nation, die – kann es verwundern? – immer noch mit den Hypotheken allzu langer Kolonialisierung, Ausbeutung, Apartheidpolitik, aber auch mit neuerlicher Korruption, sozialer Ungleichheit und Arbeitslosigkeit zu kämpfen hat.
■ Delia Klask, Ralf-P. Seippel (Hg.): Südafrikanische Fotografie 1950–2010. Verlag Hatje Cantz, Ostfildern 2010, 160 Seiten, 39,80 Euro
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