: Blinder Fleck Afrika
Mit dem Zusammenschrumpfen der Berliner Unis verschwand Afrika als Schwerpunkt aus dem Lehrplan der Freien Universität – und mit ihm Kum’a Ndumbe. Der Kameruner war einziger Afrikaner auf einem Lehrstuhl für die Politik Afrikas in Deutschland
VON JEANNETTE GODDAR
Es sprach viel dafür, zu bleiben – und fast nichts dafür, zu gehen. Nach fast 40 Jahren in Deutschland war das Land längst Zuhause; die ganze Familie lebt hier, und auch geforscht hat der afrikanische Politikwissenschaftler immer wieder über Deutschland. Außerdem hatte man es – spätestens nach den monatelangen Protesten an der Freien Universität Berlin (FU) und der Mobilmachung bundesweiter Öffentlichkeit – für nahezu unmöglich gehalten, dass es nicht möglich sein würde für jemanden wie ihn, an einem Institut in Deutschland Verwendung zu finden. Doch genau das war möglich: Kum’a Ndumbe, einst einziger Afrikaner auf einem Lehrstuhl für die Politik Afrikas in Deutschland, lebt und lehrt heute in Kamerun. Als Folge des Zusammenschrumpfens der Berliner Universitätslandschaft verschwand Afrika als regionaler Schwerpunkt aus dem Lehrplan der FU – und mit ihm Ndumbe.
Heute pendelt der Politikwissenschaftler nur noch als Gesprächspartner bei Tagungen und Diskussionen, für Lesungen und Interviews ein. In diesem Jahr stellte er bei einer wochenlangen Reise durch Deutschland seine gesammelten Werke der vergangenen 35 Jahre vor. Elf Bücher in deutscher Sprache hat Ndumbe geschrieben, aus ganz verschiedenen Genres und über ganz verschiedene Themen: Studien über den Völkermord in Ruanda und die Rolle Afrikas in der globalisierten Welt, aber auch Theaterstücke, Gedichte, Erzählungen, Tagebucheinträge. Ein persönliches Werk – und eines, das auch viel Enttäuschung demonstriert: „Wie würden Sie, verehrte Kollegen, reagieren, wenn eine Universität in Afrika, Indien oder Lateinamerika ganz Europa aus dem Programm zu streichen wagte?“, fragt er in einem Brief an die Professoren der FU.
„Ich klopfte an deiner Tür“ heißt das kleine Buch, in dem dieser Brief steht, und als man das vorliest, wird der eben noch so humorige Mann ganz ernst: „Ich klopfte, verstehen Sie!, nicht: Ich klopfe! Vergangenheit! Ich habe damit abgeschlossen.“ Weil er inzwischen glaubt, dass dieses Land afrikanische Wissenschaftler nicht ernst nimmt: „Solange wir als Lernende kommen – in Ordnung. Aber als Professoren – undenkbar!“
Kum’a Ndumbes Erfahrung mit dem deutschen Bildungssystem reicht in die 60er-Jahre zurück: Als 15-Jähriger kam er nach München und machte dort sein Abitur. Später promovierte er in Frankreich, wo er unter anderem mit Jean-Paul Sartre zusammenarbeitete und bis heute mehr veröffentlicht hat als in Deutschland. 1989 habilitierte er sich am Otto-Suhr-Institut der FU Berlin. Danach zog es ihn zurück in sein Heimatland, wo er als Professor und Präsident des Schriftstellerverbandes tätig war. Als er Anfang der 90er-Jahre an die Kameruner Regierung appellierte, Meinungsfreiheit als wesentlichen Entwicklungsfaktor zu akzeptieren, geriet er unter Druck. Ndumbe, der auch noch Thronfolger des ehemaligen Königs ist und mit vollständigem Namen Prinz Kuma’a Ndumbe III. heißt, entkam knapp einer Verhaftung. Deutsche Kollegen holten ihn schließlich nach Berlin.
Am OSI lehrte er als Gastdozent und übernahm später die Afrikaprofessur. Zehn Jahre wurde der Politologe mit einem Blick, der sich nicht nur von außen, sondern auch von innen auf den afrikanischen Kontinent richtete, aus Mitteln des DAAD und der FU finanziert. Die Hörsäle waren voll, und Ndumbes Engagement war so groß, dass er ohne Sekretariat und ohne wissenschaftliche Hilfskraft über hundert Studierende pro Semester betreute. Als die Neuordnung der Berliner Universitäten nach der Wiedervereinigung anstand, nutzten alle Qualifikation und aller Protest der Studierenden nichts: Die Regionalwissenschaften an der FU wurden abgebaut, der Afrika-Schwerpunkt wurde mit Verweis auf das konkurrierende Angebot an der Humboldt-Uni gestrichen.
Das heißt aber nicht, dass Ndumbe nicht mehr lehrt und wissenschaftlich arbeitet: Auf 2.300 Quadratmetern treibt er in Douala seinen Traum von einem gleichberechtigten europäisch-afrikanischen Dialog voran. Die Stiftung AfricAvenir, die der bald 60-Jährige in den 90er-Jahren gründete und deren Berliner Büro bis heute von seinen ehemaligen Studierenden geführt wird, blüht, wächst und gedeiht. Acht deutsche Praktikanten haben sich für dieses Jahr angemeldet; insgesamt hat das Büro seit 2002 mehr als 50 deutsche Studierende beschäftigt. Die meisten von ihnen reisen aus Berlin nach Kamerun. Sie alle investieren heute für den Dialog mit einer afrikanischen Stimme in ein Flugticket und einen wochenlangen Auslandsaufenthalt.
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