: Hightech- oder Service-Jobs?
ARBEITSMARKT Die Berliner Erwerbstätigen haben ein hohes Qualifikationsniveau. Doch zugleich gibt es auch eine hohe Arbeitslosigkeit und Mangel an Fachkräften in der Stadt
VON OLE SCHULZ
Die Berliner Wirtschaft holt auf. So lautete die Botschaft, als Wirtschaftssenatorin Cornelia Yzer (CDU) Anfang Februar den aktuellen „Innovationsmonitor“ vorstellte. Zwar sei die Wirtschaftskraft der Stadt im bundesweiten Vergleich nach wie vor unterdurchschnittlich, aber Berlin lege allmählich zu.
Entscheidend dafür sei vor allem das mittlerweile hohe Qualifikationsniveau der Erwerbstätigen: Über die Hälfte habe in Berlin einen Hochschulabschluss oder eine vergleichbare Qualifikation – ein Wert, der etwa zehn Prozent über dem Bundesdurchschnitt liegt. Das hänge nicht nur mit der Vielzahl von Unis, Fachhochschulen und Forschungseinrichtungen in Berlin zusammen, sondern auch mit der besonderen Anziehungskraft der Stadt, die „hochqualifizierte Talente aus allen Ländern“ anlocke, so die Wirtschaftssenatorin.
Yzer sieht Berlin auf dem Weg zur „Hightech-Gründungsmetropole“. Bereits 2013 landete etwa die Hälfte des bundesweit verfügbaren Wagniskapitals für IT- und Internet-Start-ups in der Stadt. Inzwischen fließen in Berlin zudem satte 3,6 Milliarden Euro jährlich in den Bereich Forschung und Entwicklung (FuE) – eine Summe, die nur von Baden-Württemberg übertroffen wird.
Auch nach dem jüngsten Konjunkturklimaindex der IHK vom Januar laufen die Geschäfte der Unternehmen in Berlin und Brandenburg zurzeit gut, aber die Erwartungen an die weitere Entwicklung sind noch besser. Das wird auch Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt haben: Jeder vierte Betrieb in Berlin braucht demnach zusätzliches Personal. Im vergangenen Jahr fanden bereits 33.000 Menschen einen neuen Job – mehr als in den anderen Bundesländern. Seit dem Tiefpunkt 2005 hat die Beschäftigung um ein Viertel zugenommen. Neue Stellen sind vor allem im Service-Bereich entstanden, in dem Berlin seit Jahren wächst – in den Branchen Gesundheit und Soziales, Erziehung und Unterricht, in den wirtschaftsnahen Dienstleistungen, bei Gastronomie, Handel, Verkehr und Logistik. Das sind allerdings Branchen, die oft schlecht bezahlen.
Jobs werden aber auch in der wissensintensiven Produktion geschaffen. Dazu zählen nicht nur junge Start-ups, sondern auch die Entwicklung „smarter“ Lösungen. Im Report „Smart City Berlin“ hat die Technologiestiftung Berlin (TSB) unlängst 40 entsprechende Projekte vorgestellt, zum Beispiel Verfahren, die wenig Energie verbrauchen, oder Ansätze intelligenter Vernetzung, darunter auch die innovative Abfallentsorgung am Potsdamer Platz: Das Unternehmen Alba sammelt dort in einem unterirdischen Logistikzentrum die Speisereste aus allen Restaurants und Cafés am Platz, komprimiert diese, um die organischen Reste am Ende einer Biogasanlage zukommen zu lassen. Wirtschaftssenatorin Yzer und Stadtentwicklungssenator Michael Müller (SPD) haben nun das Ziel ausgegeben, Berlin zur führenden Smart City in Europa zu entwickeln.
Zunehmend wichtiger für den Berliner Arbeitsmarkt sind in den letzten Jahren jedoch nicht zuletzt die Gesundheitsdienstleistungen geworden – und angesichts der demografischen Entwicklung wird der Bedarf an Personal im Gesundheitswesen und der Pflege weiter zunehmen. Mit Vivantes (14.391 Beschäftigte) und der Charité (13.000) gehörten im Vorjahr zwei Unternehmen aus diesem Bereich zu den fünf größten Arbeitgebern der Stadt.
Allerdings profitieren keinesfalls alle vom wirtschaftlichen Aufschwung: Berlin hatte im Februar mit 11,9 Prozent wie gehabt eine der höchsten Arbeitslosenquoten in Deutschland – höher lag sie nur in Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern. Das hängt auch mit den Sozialproblemen und einer vielerorts verfestigten Armut zusammen. In Berlin ist der Anteil von Hartz-IV-Familien weiterhin überdurchschnittlich hoch, was oft mit längerer Arbeitslosigkeit und mangelnder Berufsausbildung einhergeht. Diejenigen, die nicht genügend qualifiziert sind, drohen aus dem Arbeitsmarkt herauszufallen. Doch es gibt immerhin positive Zeichen: So ging die Zahl der Langzeitarbeitslosen 2013 spürbar zurück, ebenso wie Arbeitslosigkeit unter jungen Leuten unter 25 Jahren. Arbeitssenatorin Dilek Kolat (SPD) kündigte an, die weitere Reduzierung der Jugendarbeitslosigkeit werde ein „zentraler Schwerpunkt“ für 2014 sein.
Längst haben die ansässigen Unternehmen auch Fachkräfteengpässe – und das nicht nur im Bereich der Hochqualifizierten, sondern bei Absolventen mit dualer Ausbildung und Weiterbildungsabschlüssen ebenfalls. Der Kampf gegen den Fachkräftemangel ist angesichts des demografischen Damoklesschwerts laut IHK-Hauptgeschäftsführer Jan Eder inzwischen gar das „wichtigste Thema für die Stadt“. Schon heute fehlten in den Betrieben der Stadt 59.000 Fachkräfte, besonders groß sei der Mangel bei den wirtschaftsnahen Dienstleistungen, in der Bauwirtschaft und beim Transport- und Verkehrsgewerbe. Inzwischen seien die Betriebe die eigentlichen Bewerber, so Eder, weil sie sich um Azubis kümmern müssten – 17 Prozent der ausbildungswilligen Firmen hat laut dem IHK-Fachkräftemonitor 2013 keine einzige Bewerbung erhalten.
Um mehr Jugendliche in eine Ausbildung zu bekommen, müsste nach der IHK in Berlin der „Maßnahmendschungel“ außerbetrieblicher Angebote für Schulabgänger zurückgefahren und die Jugendlichen stattdessen ins duale Ausbildungssystem gelenkt werden. Auch laut Dieter Wagon, Chef der Arbeitsagentur in Berlin und Brandenburg, ist in der Stadt die Zahl der Schüler ohne Abschluss mit zehn Prozent weiter viel zu hoch. Das Ziel müsse sein, so Wagon, die Orientierung auf einen Beruf ab der siebten Klasse zu verstärken. Dann könne es gelingen, auch lernschwache Jugendliche in eine Lehre zu vermitteln.
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