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Reiche stürmen Unis

22.000 StudentInnen erwarten die Hochschulen zusätzlich im Land. Experten beklagen, dass darunter immer weniger Kinder aus armen Familien sein werden: „Zahlen sind rückläufig“

VON MORITZ SCHRÖDER

Wachsende Studierendenzahlen, aber immer weniger Kinder aus einkommensschwachen Familien an den NRW-Unis. Diesen Trend sehen BildungsforscherInnen wie Anne Schlöter von der Universität Duisburg-Essen: „Die Zahlen aus ärmeren Familien sind rückläufig“, so Schlöter. Die zunehmende Nachfrage nach Studienplätzen komme vor allem aus einkommensstärkeren Schichten, so die Wissenschaftlerin. Schon seit dem Jahr 2000 ist der Anteil der Studierenden aus so genannten „bildungsfernen Schichten“ laut Wissenschaftsministerium von 15,6 auf 13,4 Prozent gesunken.

An den Hochschulen in NRW werden sich 22.000 zusätzliche Studierende bis zum Jahr 2013 einschreiben, so eine aktuelle Schätzung der Kultusministerkonferenz. Gleichzeitig werden die Plätze zunehmend neu verteilt: „An den Hochschulen ist momentan alles im Umbruch“, sagt Helga Fels von der Arbeitsgemeinschaft der Studentenwerke in NRW. Für die Kinder aus finanzschwachen Familien werde das Studium immer unwahrscheinlicher. Durch die Studienreform hin zu der zweigeteilten Bachelor/Master-Struktur hätten sich die Arbeitsstunden pro Woche stark erhöht, von 42 auf bis zu 60 Arbeitsstunden.

Doch wer viel studiert, kann nebenbei nicht arbeiten, was besonders die Studierenden mit wenig Geld belaste. Die aktuelle Sozialerhebung des Studentenwerks kam zu dem Ergebnis, dass in NRW mehr Studierende neben ihrem Studium jobben als in anderen Bundesländern. 73 Prozent der NRW-Studierenden arbeiten nebenher. Im Bundesdurchschnitt sind es nur 66 Prozent. Auch die sinkenden Zuschüsse des Landes für die Studentenwerke mache sich vor allem bei den ärmeren Studierenden bemerkbar: Zahlten sie 2004 noch etwa 46 Euro Sozialbeitrag pro Semester, sind es heute schon bis zu 70 Euro, weil das Land 2006 acht Millionen Euro gekürzt hat.

Dabei sollten gerade die Ruhrgebiet-Unis ab den 60er Jahren den Kindern aus Arbeiterfamilien eine akademische Laufbahn ermöglichen, um den Strukturwandel der Region zu unterstützen. „Es ist zweifelhaft, ob dieses Ziel erreicht wurde“, sagt allerdings Reiner Höck, Leiter der Abteilung für Lehre an der Ruhr-Universität Bochum, die 1965 gegründet wurde.

Schlöter kritisiert auch die Wirkung von Studiengebühren, die ab dem kommenden Semester an ersten Hochschulen im Land fällig werden. Vor allem Arbeiterkinder falle der Aufstieg über die höhere Bildung schwer, weil die Eltern selbst nicht studiert hätten. „Darauf wird in der Hochschulpolitik aber nicht wirklich geachtet“, so Schlöter. Das Landeswissenschaftsministerium weist die Kritik zurück: „Je besser die Studienbedingungen, desto planbarer wird das Studium“, so André Zimmermann, Sprecher von Minister Andreas Pinkwart (FDP). Die bessere Ausstattung werde besonders den bildungsfernen Schichten zugute kommen.

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