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Feintuning für den E-Flohmarkt

„Nicht, dass Sie auf die Idee kommen, mit dem ersten Kredit von der Bank auf die Seychellen zu fahren“

AUS MÖNCHENGLADBACH LUTZ DEBUS

Schwere Eichentische, Kronleuchter, hohe Decke, Fenster mit Rundbögen: Die Industrie- und Handelskammer (IHK) zu Mönchengladbach bietet ein prunkvolles Ambiente. Zögerlich betreten die ersten Besucher den Raum. Manch einer trägt eine Joggingjacke, viele sind in T-Shirt und Jeans erschienen. Etwa 80 zukünftige Unternehmer sind der gemeinsamen Einladung des weltweit größten Internetauktionshauses Ebay und der IHK zu einem Existenzgründungsseminar gefolgt. Die 90 Euro Teilnehmergebühr haben sie nicht abschrecken können.

Schnell kommen die Wartenden ins Gespräch. „Womit handeln Sie?“ Eine ältere Frau weiß nicht recht, was sie antworten soll. „Ich will mich erst orientieren.“ Die Arbeitsagentur habe sie geschickt. Es gebe ja nach wie vor Förderungsmöglichkeiten für Hartz IV-Empfänger, die sich selbstständig machen wollen. Und so habe ihr Arbeitsvermittler versucht, ihr dieses Seminar schmackhaft zu machen. Electronic Commerce, das sei ja wohl der Markt von Morgen.

Andere haben schon detailliertere Geschäftsideen. Ein junger Mann, Anfang 20, will mit Ersatzteilen für Pocketbikes handeln. „Echte Geschosse, mörderisch gefährlich“, schwärmt er von den zur Zeit schwer angesagten Minimotorrädern. Woher er denn die Ware beziehe? Der Befragte lächelt und nickt. Ob er denn schon Erfahrungen in diesem Bereich gesammelt habe? Wieder lächelt der junge Mann, gibt aber keine Antwort. Seine Nachbarin ist gesprächiger. Ihr Ehemann habe sie dazu verdonnert, hier zu erscheinen. Mit ihren Lederwaren stehe sie jeden Morgen auf einem anderen Wochenmarkt. Die Geschäfte laufen eher bescheiden. Und der Winter steht vor der Tür. „Mein Mann hat gesagt, da ist ein zweites Standbein, ein Onlinegeschäft, genau richtig“, erzählt die zierliche Frau mit polnischem Akzent. Ihre Gürtel und Damentaschen werden ihr aus der alten Heimat mitgebracht.

Tanja Neumann von der IHK Niederrhein hat das Seminar organisiert. „Klar, die Goldgräberstimmung ist schon wieder vorbei“, sagt sie. Der internationale Flohmarkt Ebay habe an Wichtigkeit und Attraktivität eingebüßt. Früher konnte man wertlosen Schrott für ansehnliche Summen versteigern. Aber seit die Werbung „Drei, zwei, eins, meins“ täglich auf allen TV-Kanälen zu sehen ist, fühle sich jeder, der einen Keller auszumisten hat, zu Großem berufen. Jeder kann das Prinzip von Ebay im Handumdrehen lernen. Ein paar Angaben zu der Ware, ein digitales Foto, ein paar Mausklicke, und schon kann man binnen einer Woche denjenigen Käufer mit dem weltweit höchsten Gebot ermitteln.

Inzwischen aber dominieren nicht mehr die ahnungslosen Bieter die digitalen Versteigerungen. So genannte Profiseller mit tausenden von Geschäftsabschlüssen im Monat haben den meisten Umsatz bei Ebay. Die heutigen Seminarteilnehmer möchte die IHK ermutigen, selbst Profiseller zu werden. Jeder niederrheinische Händler, egal ob mit einem Gebrauchtwagenangebot an der Straßenecke oder mit einem Onlinegeschäft im heimischen Wohnzimmer, soll möglichst Mitglied der IHK werden. Das Seminar dient also wohl letztlich der Mitgliederacquise.

An der Kopfseite des kleinen Saals steht Gunnar Kauffmann. Edler Sakko, weißes Hemd, gestreifte Krawatte. Ein hektischer Blick auf die silberne Armbanduhr und schon beginnt der extra aus Berlin eingeflogene Steuerexperte seinen Vortrag. „Ich bin für die Abschreckung zuständig“, erklärt Kauffmann eingangs mit einem süffisanten Lächeln. Sein Blick wandert durch die Reihen. „Statt 30 werden Sie 70 Stunden in der Woche arbeiten. Und an Urlaub dürfen Sie in den nächsten drei Jahren noch nicht einmal denken.“ Jeder, der von Ebay leben will, solle sich fragen, ob er Stress vertragen könne. Und das auch seine Familie fragen. „Solange Sie genügend Waren versteigern, wird ihr Partner zu Ihnen stehen. Aber was passiert, wenn Manches nicht klappt?“ Bei einem Stapel unbezahlter Rechnungen sei „psychologisches Standing“ wichtig. Und als Internethändler sei Geschwindigkeit und Kreativität gefragt.

Das weltweite Netz nennt der 43-Jährige einen „brutal transparenten“ Markt. „Die Idee von heute ist schon morgen überholt.“ Spezielle Programme könnten die weltweite Angebots-, Preis- und Nachfrageentwicklung jedes Markenproduktes anzeigen. „Da nutzt es nichts, auf den dummen Käufer zu warten oder zu hoffen, dass die Konkurrenz schläft.“

Früher konnte man wertlosen Schrott für große Summen auf dem elektronischen Flohmarkt versteigern

Gunnar Kauffmann beugt sich über sein Laptop, das auf dem Rednerpult steht. Zwei Mausklicke, und schon wird eine umfangreiche Zahlentabelle auf die Leinwand hinter ihm projiziert. Vor dieser Tabelle geht Kauffmann auf und ab. Die Zahlen der Tabelle wandern dabei über sein Gesicht, die die Zahlenkolonnen trennenden Linien wirken wie Gitterstäbe. Mit seinen stahlblauen Augen, die im Licht des Beamers blitzen, mustert Kauffmann die Seminarteilnehmer in der ersten Reihe. Die Wirkung seines Vortrages reicht aber bis in die letzte Ecke des Raumes. Obwohl Kaffee, Saft, Wasser und Kekse auf den Tischen stehen, traut sich niemand zuzugreifen. Als verfolgten sie eine spektakuläre Raubtiernummer im Zirkus, schauen alle Ebayer wie gebannt auf Kauffmann und seine Zahlenkolonnen. „Sie brauchen einen Liquiditätsplan“, zischt der Steuerexperte. Jährlich bundesweit bis zu 41.000 unternehmerische Insolvenzen, diese Zahl spreche für sich. Es sei zwingend notwendig, diesen Plan sorgfältig zu erstellen.

Zu Beginn, so rechnet Kauffmann an Hand der Tabelle vor, brauche man je nach Geschäftsidee bis zu 50.000 Euro Startkapital. Wo könne man als zukünftiger Ebay-Powerseller das nötige Geld besorgen? Von Banken? Wieder lässt Kauffmann seinen strengen Blick von Gesicht zu Gesicht wandern. „Zehn Prozent von Ihnen haben eine reelle Chance.“ Auch bezüglich anderer Kapitalquellen macht der Referent wenig Hoffnung. Dass ein Großhändler langfristige Zahlungsziele gewährt, könne man in der ersten Zeit knicken. Am besten sei natürlich eine Finanzspritze von Mama oder Papa. Da lächelt Kauffmann kurz. Dieses Glück habe natürlich auch nicht jeder. Fahrzeuge, Möbel und Elektronik könne man inzwischen gut leasen. Jene Gesellschaften bräuchten keine großen Sicherheiten. „Bei Zahlungsschwierigkeiten können diese spezialisierten Unternehmen sehr schnell auf die Ware zugreifen und gewinnbringend weitervermarkten.“ Bei dem Wort „zugreifen“ schnappt Kauffmann mit seinen schlanken Fingern einen imaginären Tennisball aus der Luft. Die krallende Hand bleibt für Sekunden bewegungslos. „Aber passen Sie auf. Mit einem Schufa-Eintrag sind Sie verbrannt, sind Sie platt.“

Der junge Mann, der Ersatzteile für kleine Motorräder vertreiben will, zieht erschrocken seine Schultern hoch. Auch andere Anwesende sitzen ganz steif, den Oberkörper in die Rückenlehne gedrückt, auf ihren Stühlen. Aber Gunnar Kauffmann ist mit seinen Grausamkeiten noch nicht zu Ende. „Ab sofort haben Sie einen Schnitt durch Ihren Körper. Eine Hälfte ist geschäftlich, eine privat. Nicht, dass Sie auf die Idee kommen, mit dem ersten Kredit von der Bank in den Urlaub auf die Seychellen zu fahren.“ Keiner der teilnehmenden ALG-II-Empfänger wehrt sich gegen diese pauschalen Verdächtigungen, womöglich aus Respekt vor dem Mann aus der Businesswelt, in die man doch auch so gerne eintreten möchte. Oder liegt es an der manchmal doch freundschaftlich-väterlichen Art, mit der der Gast aus Berlin sein Mitgefühl und seine Sorge ausdrückt? „Hüten Sie sich vor den Unternehmensberatern, die mit einem Wohnwagen vor den Büros der Arbeitsagenturen stehen. Die versprechen Ihnen das Blaue vom Himmel.“ Auch verrät er manch wohl gemeinten Trick. Natürlich halte er nichts von einer Lebensversicherung. Aber wenn man den Sachbearbeiter einer Bank rumkriegen muss, könne man auch anbieten, einen kleinen Vertrag über eine Altersvorsorge bei eben diesem Institut abzuschließen. „Die Banker leben von Provisionen. Man muss auch mal mit ihnen spielen.“

Die Botschaft des Referenten ist angekommen. Zur Pause machen sich einige der zukünftigen Profiseller im Vorraum Luft. „Mit diesen Vorschriften und dem ganzen Aufwand lass ich das lieber sein mit der Gewerbeanmeldung“, bilanziert ein älterer Herr im karierten Hemd den Vormittag. „Ich kann doch keinem Menschen erklären, wie ich an meine Ware komme.“

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