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Erster Sieg für den Rettungssanitäter

ABSTIEGSANGST Unter seinem neuen Trainer Huub Stevens liefert der VfB Stuttgart zwar seine schlechteste Leistung seit langer Zeit ab, gewinnt aber trotzdem den Keller-Gipfel der Traditionsvereine gegen den Hamburger SV

Wenn Stevens seine Mission abschließt, könnte es schwer werden, ihn wieder nach Hause zu schicken

AUS STUTTGART JÜRGEN LÖHLE

Man sagt den Schwaben gerne nach, dass sie sich nur für etwas Hochwertiges von ihrem Geld trennen wollen. Insofern erlebten die Schwaben unter den 55.000 Zuschauern im Stuttgarter Stadion beim Spiel gegen den Hamburger SV einen grauenhaften Nachmittag. Und der wurde auch dadurch nicht besser, dass auf der Anzeigetafel bereits die aktuellen Trikots des VfB im Ausverkauf angeboten wurden, der auch auf Schwäbisch mittlerweile „Sale“ heißt.

Aber die Leute waren ja nicht zum Einkaufen, sondern zum Fußball gekommen. Und sie sahen für ihr Eintrittsgeld ein von Angst geprägtes Spiel zweier extrem gefährdeter Traditionsvereine. Nur ja keinen Fehler machen: Das Credo der Angst senkte sich wie Blei in die Schuhe, sodass am Ende der VfB dreimal und die Hamburger genau einmal aufs gegnerische Tor geschossen hatten. Und da der Rumäne Alexandru Maxim (69. Minute) eine der spärlichen Stuttgarter Chancen nutzte und der HSV nach Gelb-Rot gegen Hakan Calhanoglu (53.) geschwächt war, gewann der VfB nach zehn sieglosen Spielen tatsächlich mal wieder und zog in der Tabelle am HSV vorbei.

Das Spiel war „nicht schön anzusehen“, erklärte HSV-Coach Mirko Slomka hanseatisch vornehm. Huub Stevens, der knarzige Niederländer, der bei seinem Heimdebüt als Stuttgarter Trainer in seiner wunderschönen roten Hose wie ein Rettungssanitäter aussah, sagte es klarer. Er habe gute Szenen gesehen (das muss er sagen), aber eben auch „Momente wie in der Kreisliga“. Und das trifft es eher.

Aber wie kommt so was? Stuttgart gegen Hamburg, das war am Ende der Saison 1983/84 noch ein Finalspiel um den nationalen Titel (Stuttgart wurde trotz eines 0:1 Meister). Der HSV ist der einzige immer erstklassige Verein in der Bundesliga-Geschichte und gehört wie die Schwaben nach eigenem Anspruch unter die ersten acht. Jetzt kicken beide Clubs um die nackte Existenz und man spürt, dass viele Spieler von dieser Art des dreckigen Spiels nicht so viel Ahnung haben. Vorsichtig gesagt. Der Hamburger Rafael van der Vaart versuchte sich immer wieder an Zuckerpässchen, die aber nur was bringen, wenn ein Team mit breiter Brust auftritt. Beim VfB redet man seit Monaten, dass diese Mannschaft doch so viel Qualität habe, dass man nie und nimmer absteigen könne. Und wer solche Parolen unters Kopfkissen gestopft bekommt, der glaubt irgendwann daran. Was fatale Folgen haben kann, denn das Abstiegsgezerre gegen den HSV haben die Stuttgarter zwar gewonnen, aber es war die „schlechteste Leistung seit Ewigkeiten“, attestierte Christian Gentner. Zumindest der Kapitän der Schwaben hat die Realität also kapiert.

Bei den anderen darf jetzt der neue Trainer Huub Stevens die alten Spielchen auspacken, mit denen man Berufskickern den Ernst der Lage einbläut. Gemeinsames Frühstück vor dem Training, Handyverbot, Disziplin in jeder Lage – eben all das, was eigentlich im Profisport selbstverständlich sein sollte, erst recht, wenn es um alles geht. Stevens ist ein Maitre dieses Metiers und insofern wohl tatsächlich der richtige Mann. Dummerweise passt der 60-Jährige so gar nicht in das Profil, das sich die Stuttgarter selbst gegeben haben. Mit jungen, eigenen Spielern nach oben. Dieses Programm ist jetzt durch den Existenzkampf unterbrochen. Timo Werner, der von Stevens’ Vorgänger Schneider als 17-Jähriger in die Bundesliga implantiert wurde, sitzt jetzt trotz seiner vier Tore wieder auf der Bank. Stevens kümmert sich jetzt erst einmal ums Wesentliche.

Sollte das erfolgreich sein und der VfB die Klasse halten, wird es spannend rund um das rote Haus in Cannstatt. Wenn Stevens seine Mission abschließt, könnte es schwer werden, ihn wieder nach Hause zu schicken. Angeblich bastelt man beim VfB ja an der Zukunftsvision Ralf Rangnick als Sportchef und Thomas Tuchel als Trainer. Damit das aber überhaupt denkbar wird, muss die Mannschaft die Klasse halten – und das dürfte schwer genug werden. Am Mittwoch geht es nach Nürnberg.

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