: Kampf um den Krustenbraten
RINGEN Musberg hat 5.300 Einwohner, aber einen Bundesligisten: Die Mannschaft aus dem Schwäbischen setzt auf Einheimische und ringt trotzdem die reiche Konkurrenz zu Boden
AUS MUSBERG JÜRGEN LÖHLE
22:14-Sieg am Samstagabend gegen die RKG Freiburg, Platz sieben in der Tabelle der Ringer-Bundesliga West, der Abstieg in weiter Ferne. Nur ein paar Zahlen, aber erstaunliche. Der Auftritt des TSV Musberg in der Eliteliga der Ringer ist eine dieser seltenen David-gegen-Goliath-Geschichten im Leistungssport. Wenig Geld, aber dafür Engagement und Begeisterung.
Vor zwei Jahren stiegen die Musberger Ringer in die 2. Bundesliga auf. Der Sport hat Tradition in dem Dorf an Stuttgarts Peripherie, trotzdem war es eine Überraschung, weil der Verein überwiegend mit Musbergern ringt. Mit jungen Männern, die seit dem Kindergarten zusammen sind, die Stäbler, Braun, Mertins oder Böpple heißen, die nach dem Training noch auf ein Bier gehen und im Alltag als Azubis, Studenten, Mechatroniker, Schreiner oder Polizisten arbeiten. Und als diese Boygroup auch in der zweiten Liga einfach nicht verlieren wollte, hat man es im Dorf kaum glauben können. Durchmarsch, und das fast ohne osteuropäische Unterstützung. Wie auch. Der Verein muss selbst jetzt in der Bundesliga mit einem Etat von geschätzten 100.000 Euro auskommen. Für die Kohle würde sich beim nur 15 Kilometer entfernten VfB Stuttgart nicht mal einer auf die Bank setzen.
Samstag gegen Freiburg, den Tabellenletzten. Während die Mannschaften beim Wiegen sind, füllt sich die Sporthalle auf dem Hauberg. Viele kennen sich, Hände werden geschüttelt, und wenn einer fragt, sagen sie gerne, wie stolz sie sind, als 5.300-Einwohner-Ort einen Erstligisten zu haben. Man ist ja auch ein Stück näher am Himmel hier oben. Knapp 500 Meter über dem Meer, höher geht es nicht rund um Stuttgart. Die Besucher werden im Shuttlebus kostenlos vom Kirchplatz auf den Berg gebracht. Das muss sein, weil es oben kaum Parkplätze gibt. Auch nicht für den Erstligisten.
Der Bus spuckt die Fans aus, die vor der Halle erst mal am Bierwagen stehen bleiben. Man prostet sich zu und zeigt seine Botschaft – meist auf dem Shirt. „Musberg – kleines rebellisches Bergdorf am Rande des Schönbuchs“, prangt es von einem zierlichen Frauenrücken. „Mir sen die, wo gwinne wellet“, zeigt ein Ringer. Neun Euro kostet der reservierte Sitzplatz, fünf Euro nimmt man fürs Stehen. Langsam wird es warm in der Halle. 700 dürfen rein, weniger sind es selten, mehr dürfen es nicht sein. Zumindest offiziell. Die Kämpfe werden präsentiert vom Musberger Handwerk, damit ein paar Euro in die Kasse kommen. Denn ganz umsonst, also ohne ausländische Hilfe, geht es auch im „rebellischen Bergdorf“ nicht. Und die Kämpfer aus Rumänien oder Polen muss man natürlich bezahlen. Aber es ist nicht mal eine Handvoll. Die meisten sind heimisch, kämpfen für ein Vesper und eine kleine Prämie. Auch Frank Stäbler, der Mitglied der Nationalmannschaft ist und zu den Olympischen Spielen 2012 in London will. Eigentlich müsste der angehende Kaufmann für Bürokommunikation längst bei den Großkopfeten in Aalen oder sonst wo ringen. Angebote hat er genug. Aber er sagt: „Musberg ist einfach toll.“
Und heiß – nach fünf Kämpfen ist Pause. Das Licht geht an, die Leute strömen für eine Zigarette und ein schnelles Bier vor die Halle. Musberg liegt zurück, trotz der beeindruckenden Lärmkulisse. „Die packen wir noch“, sagt ein Fan. Man hat in der Gegend schließlich Routine mit Kämpfen. Langjähriger Widerstand gegen den Flughafenausbau (erfolgreich), Kampf gegen einen Messeneubau (verloren), und am Samstag kamen einige direkt von der Stuttgart-21-Demo zum Bundesligakampf.
Ende der Pause: Die Luft in der Halle ist immer noch feucht und verbraucht, Brillengläser beschlagen sofort. Eigentlich kein Klima für Sport, und Ringen ist verdammt harte Arbeit. Volle Konzentration, das ganze Gewicht im Gegner. Wer nur eine Sekunde nachlässt oder nicht aufpasst, fliegt aus dem Ring oder aufs Kreuz. Nach der ersten Runde über zwei Minuten sind die Kämpfer nass geschwitzt, nach der fünften am Ende, und in den kurzen Pausen dazwischen wedeln die Trainer ihren japsenden Athleten Luft zu. Musberg dreht auf, gewinnt im Lärmorkan vier der letzten fünf Kämpfe gegen den direkten Abstiegskonkurrenten. Das müsste reichen, um auch im nächsten Jahr dabei zu sein.
Raus durch die Glastüre in die herbstliche Kühle. Der Pendelbus bringt die Fans den guten Kilometer zurück zum Kirchplatz unten im Dorf. Viele pilgern noch in die Festhalle. Dort stärken sich Ringer und Publikum nach den Kämpfen an langen Tafeln mit weißen Papiertischdecken. Als die müden Helden in die Halle schlurfen, wird geklatscht. Auch beim Einzug der Gegner Applaus. Alles ist wieder gut, die Rivalität vergessen. Die Auswahl ist deftig. Krustenbraten mit Weizenbiersoße, paniertes Schnitzel, Wurstsalat. Die Sportler essen gratis, die Fans zahlen natürlich, auch die Vereinsmitarbeiter. Ehrensache.
In zwei Wochen geht es weiter gegen Neuss. Es dürfte laut werden auf dem Hau. Und heiß.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen