: Choreografisches Prinzip der Collage
TANZ Die Summe ihrer einzelnen Teile: Meg Stuart befragt mit ihrem Solo „Hunter“ im HAU 2 den eigenen Körper als Archiv der Erinnerungen
VON KATRIN BETTINA MÜLLER
Es ist eine kleine Sensation, dass die Choreografin Meg Stuart, zwanzig Jahre nachdem sie ihre Compagnie Damaged Goods gegründet hat, zum ersten Mal einen Abend lang allein auf der Bühne steht. Bei der Uraufführung ihres Solos „Hunter“ im HAU 2, das noch in Essen, Venedig, Genua, Zürich und Brüssel gezeigt werden wird, trafen sich viele wieder, die ihre aufregenden früheren Stücken wie „appetite“, „Visitors only“ und „Alibi“ vom Ende der 90er, Anfang der nuller Jahre als Kuratoren nach Berlin geholt hatten oder ihnen als Kollegen, Kritiker und Zuschauer atemlos gefolgt waren.
Kurzum – sie tanzte vor einer Gemeinde von Meg-Stuarts-Fans und belohnte deren Treue mit einem Stück, das all die Eigenschaften, die ihre Handschrift und die besondere Atmosphäre ihrer Stücke ausmachen, noch einmal persönlich grundierte. Zerschneiden, zerstückeln, übermalen, überschreiben, um ungewohnte Achsen drehen, neu zusammensetzen, zerdehnen, beschleunigen – vieles von dem, was in ihren Choreografien mit den alltäglichen und tänzerischen Bewegungen geschieht, war diesmal zuerst als Umgang mit Bildern zu erleben. Eine Kamera projizierte groß auf Stoff, was Meg Stuart, die mit dem Rücken zum Publikum an einem Tisch saß, dort mit Schere, Stiften, Klebstoff, Fotografien und anderen Erinnerungsstücken anstellte. Alles, was man erkennen konnte, veränderte sich dabei ständig vor unseren Augen.
Dieses Prinzip der Collage nahm Meg Stuarts erstaunliche Fähigkeit vorweg, den eigenen Körper durch ungewohnte Akzentuierungen in etwas zu verwandeln, in dem einzelne Glieder, wie Hände und Arme etwa, ein Eigenleben führen. Wenn sie anfängt zu tanzen, zu einem Sound aus Schnipseln, die in weniger als einer Sekunde wechseln, dann schnellen und ruckeln ihre Bewegungen, werden mechanisch, werden anmutig, werden fragil, werden aggressiv. Die widersprüchlichsten Empfindungen und Situationen kommen in großer Dichte zusammen. Obwohl weniges benennbar wäre, muten die Bewegungen trotzdem nicht abstrakt an, sondern schrammen immer wieder nah an dem vorbei, was man als emotionalen Ausdruck zuordnet oder als körperlichen Zustand kennt.
Eine Ebene des Dramas, das hier durch diesen einzigen, oft auch sehr zart wirkenden Körper der Choreografin zieht, ist sicher ein Kampf um Erinnerungen, die einfach nicht eindeutig werden wollen. Auf unterschiedlichen Projektionsflächen sieht man gelegentlich alte Super-8-Familienfilme, Kinderbilder auch. Man hört manchmal die Stimmen eines alten Mannes und einer alter Frau, die nach einem genaueren Ausdruck suchen, für das, was war. Am Ende wirft Meg Stuart einen ratternden Projektor an, die Geschwindigkeit ist falsch eingestellt, das Bild verrauscht, eine bewegte Leere. Langsam wandert es in den Bühnenhimmel und verlischt.
Es sind solche sprechenden visuellen und akustischen Elemente, die dem Tanz einen Bezugsrahmen schaffen, in dem er lesbar wird. Neben die Andeutung des Biografischen und Persönlichen treten dabei rasend schnell vorüberrutschende Bilder, in denen Häuser brennen oder Blut aus einem Mund tropft. Diese Nähe zum Katastrophischen und Panischen, zur tiefen Verunsicherung über den Grund, auf dem man steht, hat viele Stücke Meg Stuarts ausgezeichnet. Was diesmal aber anders ist: Das Schüchterne und das Toughe, das Verletzbare und das Gewaltsame werden als Facetten einer Person, als Teil ihrer Geschichte durchgespielt.
Licht (Jan Maertens), Sounddesign (Vincent Malstaf), Bühnenbild (Barbara Ehnes) und Videos (Chris Kondek) erzeugen einen Raum, den man nicht als einsamen Ort, sondern als ein Stück Welt wahrnimmt, oft komprimiert aus privaten Situationen und allgemeinen Ereignissen. Gelegentlich verbinden sich da Objekte, wie eine je nach Lichteinfall unterschiedlich farbig schillernde Folie, spiegelnd und transparent zugleich, mit der Tänzerin zu bewegten Installationen. Es entsteht dann so etwas, dass man ihren Körper zugleich sieht und nicht sieht, Licht ballt sich in seiner Mitte, als wäre er ein Raum, der sich ausdehnen könnte. Unheimlich irgendwie, ein bisschen jenseitig, und schnell auch wieder vorüber.
■ „Hunter“, 28. + 29. März, 20.30 Uhr im HAU 2
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