: Allein auf dem Dach der Welt
TADSCHIKISTAN Verschneite Gipfel und einsame Seen – eine Reise durch das Pamir-Gebirge gilt als Geheimtipp
■ Für die Einreise nach Tadschikistan ist ein Visum erforderlich. Auskünfte erteilt die Botschaft der Republik Tadschikistan, Perlebergerstr. 43, 10559 Berlin, Tel.: 0 30/3 47 93 00; Fax: -029, E-Mail: info@botschaft-tadschikistan.de
■ Infos zum Pamirgebirge gibt es im Internet auf www.pamirs.org und www.geocities.org.
■ Lesetipps: Einen Überblick über die Geschichte des Landes gibt: „Tajikistan and The High Pamirs“, Robert Middleton, Huw Thomas, erschienen bei Odyssey Books and Guides, ISBN 978-962-217-773-4, UK 18.95 Pfund „Tadschikistan“, Trescher Verlag. Stadtpläne und Übersichtskarten, 276 Seiten,140 Farbfotos, ISBN 978-3-89794-160-1, 17,95 Euro
■ Die beschriebene Tour ist buchbar unter www.pamirsilk.travel, E-Mail: info@pamirsilk.travel
■ Infos zu Touren durch den Wakhan-Korridor: ahmadshukran@yahoo.com, www.ariaguesthouse.com
VON UTE MÜLLER
Eine schmale Schotterpiste führt zum Haus von Massain Massainow. Es geht hinauf nach Dasht, einem kleinen Dorf am südlichsten Zipfel von Tadschikistan. Gegenüber ragen die majestätischen Gipfel Afghanistans in den Himmel, im Tal bahnt sich der Pandsch-Fluss seinen Weg. Bei Massain, 70, wird heute gefeiert, sein Sohn Aman ist aus Moskau nach Berg-Badachschan zurückgekehrt. Aman wird in die Fußstapfen seines Vaters treten. Der baut Zupfinstrumente und gilt als Meister seines Fachs.
Am Eingang steht Massains Schwiegertochter und reicht Brot und Salz als Zeichen tadschikischer Gastfreundschaft. Wir befinden uns im Pamir, dem zweithöchsten Gebirge der Welt hinter dem Himalaja. Die Tadschiken bezeichnen ihre Bergkette als „Bam-I-Danja“, das bedeutet „Dach der Welt“.
Drinnen, im geräumigen typischen Pamiri-Haus, ist die ganze Familie versammelt, die Stimmung ist euphorisch. Massain hat seine gesamte Saiteninstrumentenkollektion aufgebaut, alle wurden aus dem Holz von Maulbeerbäumen geschnitzt. Seine Sammlung ist so kurios, dass Massain sie vor ein paar Jahren einmal bei einem Festival in Burkina Faso präsentierte. Niemand in der Gegend ist so weit herumgekommen wie er.
Der Hausherr ergreift seine „Rubab“, eine doppelbauchige, siebensaitige „Gitarre“, und fängt an zu spielen. Als die ersten Klänge ertönen, fangen die Frauen an zu tanzen, die Stimmung steigt.
„Mein Sohn wird die Tradition fortführen. Er wird genügend Instrumente verkaufen und seine Familie ernähren können, er braucht nicht länger in der Fremde zu weilen“, sagt Massain.
Dass die Menschen in der bitterarmen Pamir-Region wieder Hoffnung schöpfen, hat vor allem mit dem Aga Khan zu tun. Tadschikistan ist ein muslimisches Land, doch fast alle der 200.000 Bewohner von Berg-Badachschan sind Ismailiten und gehören damit einer liberalen Minderheit des Islam an. Ihr spiritueller Führer ist der Aga Khan.
Wie in jedem Haus im Pamir hängt auch bei Massain das Porträt des Aga Khan. In den letzten Jahren hat das sogenannte Aga-Khan-Entwicklungsnetzwerk (AKDN) beträchtliche Summen für die Entwicklung von Tadschikistan locker gemacht, denn das Land gilt als das ärmste der ehemaligen Sowjetrepubliken.
Zuerst wurden im Hochgebirgsland die Stromnetze modernisiert, danach wurde in Chorugh ein Ableger der zentralasiatischen Universität gegründet, nun soll der Tourismus entwickelt werden.
„Verglichen mit dem nahegelegenen Himalaja verirren sich nur wenige Touristen hierher“ – weiß Scharaf Saidrachmonow, der als Reiseführer gerade so über die Runden kommt. „Wer hierher kommt, ist fast alleine auf dem Dach der Welt, das ist ein echter Luxus“, sagt Scharaf und lacht.
Auch viele Frauen profitieren von der Aga-Khan-Initiative. Eine davon ist Gulandon Imomnasarowa (37), die in Chorugh eine kleine Herberge eröffnet hat und vier Zimmer in ihrem Haus vermietet. Da die Gäste mit den Einheimischen unter einem Dach leben, heißen diese Unterkünfte „Homestays“. Für 6,50 Euro pro Nacht bekommt man ein Bett.
Um ihre Häuser für Touristen auszurüsten, können die Tadschiken auf Mikrokredite der sogenannten First Microfinance Bank zurückgreifen. Dahinter steht ebenfalls die Aga-Khan-Stiftung. Frauen stellen derzeit schon mehr als ein Drittel der Kreditnehmer.
Viele Ismailiten, die heute im abgeschiedenen Berg-Badachschan leben, sind erst während des Bürgerkriegs (1992 bis 1997), der dem Zusammenbruch der Sowjetunion folgte, gekommen. Die meisten der ehemaligen Flüchtlinge stammen aus der 600 Kilometer entfernten Hauptstadt Duschanbe.
„Wir verdanken alles dem Aga Khan, er war es auch, der uns Ismailiten während des Bürgerkriegs half und Lebensmittel und Saatgut hier einfliegen ließ“, erläutert Gulandon. Jetzt müssen nur noch Gäste den Weg hierher finden. Allerdings ist es nicht eben leicht, nach Chorugh zu gelangen. Die Anreise ist nur mit dem Geländewagen möglich. 15 Stunden braucht man von Duschanbe aus, dabei geht es unentwegt über Gebirgspässe, tiefe Schluchten und reißende Flüsse. Ein Hubschrauber verkürzt die Reisezeit auf 75 Minuten, doch er fliegt nur bei guter Sicht über die hohen Berge, und außerhalb der Sommermonate bleiben in der Regel Wolken an den Gipfeln hängen.
Chorugh ist ein ruhiges Städtchen mit gepflegten Parkanlage. Überall gibt es Hinweise auf die jahrzehntelange Präsenz der Sowjets, auf den lokalen Bauernmärkten werden hauptsächlich Waren aus Russland verkauft, noch heute heißt die Hauptstraße von Chorugh Leninstraße.
Wir verabschieden uns von Massains Familie und den Bewohnern von Dasht und rumpeln immer am Pandsch-Fluss entlang, der natürlichen Grenze zwischen Tadschikistan und Afghanistan. Während der Sowjet-Zeit war die eintausend Kilometer lange Grenze geschlossen, jetzt gibt es mehrere Brücken ins Nachbarland, wo die Tadschiken immerhin ein Viertel der Bevölkerung stellen.
Wir bleiben auf der tadschikischen Seite und fahren an grasenden Yakherden vorbei. Die friedlichen Zotteltiere geben eine überaus gehaltvolle Milch, sie bildet eine wichtige Nahrungsgrundlage für die Menschen hier. Zwei Bäuerinnen kommen vorbei und laden uns ein, ihr Mahl mit ihnen zu teilen, frisches Fladenbrot und Yakmilch.
„Wir freuen uns hier noch über jeden Besucher“, sagt Sumrat Schambiewa. In dem Dörfchen Langar betreibt sie ebenfalls einen Homestay. Sumrat war früher Deutschlehrerin, jetzt versucht sie sich als Herbergsmutter. Nur rund 40 Gäste hat sie im Jahr, doch Sumrat ist zuversichtlich, dass es bald mehr werden, schließlich gilt ihr raues Land als Geheimtipp für Abenteuertouristen und Bergsteiger. „Meine deutschen Gäste empfehlen mich weiter“, sagt sie mit einem Augenzwinkern.
Tadschikistan ist auch bei Jägern beliebt. In den schwer zugänglichen Hochgebirgsregionen zwischen Tadschikistan und Afghanistan soll es noch einzelne Bestände der legendären Marco-Polo-Schafe geben, benannt nach dem berühmten Weltreisenden, der im 13. Jahrhundert durch das Pamir kam. Inzwischen sind die kuriosen Schafe vom Aussterben bedroht und stehen unter Schutz, doch gegen die Zahlung von rund 12.000 Euro erhält man einen Jagdschein – wie in vielen ehemaligen GUS-Staaten gibt es auch hier diese Art der Devisenbeschaffung.
Am nächsten Tag verlassen wir Langar und fahren über den Kargush-Pass (4.344 Meter), immer entlang an Felswänden, die von Gletscherkuppen gekrönt sind. Dann nimmt die Vegetation allmählich ab, an die Stelle enger Schluchten treten weite Hochebenen, die Piste wird sandig. Nach einer Weile kreuzen wir den Pamir-Highway, die Hauptverkehrsstraße des Pamir, die Chorugh mit Osch in Kirgistan verbindet. Kurz danach taucht der riesige Yashilkul-See auf.
Er ist einer der schönsten der zwölfhundert Seen des Landes. 3.700 Meter liegt er hoch, das Atmen fällt schwer, als wir zum Ufer herabsteigen. Weiter geht es zum einsamen Bulunkul-See, das gleichnamige Dorf liegt auf einer vegetationsfreien Hochebene ein paar Kilometer weiter.
Dort lebt seit vielen Jahren die Familie von Otomboi, ein in die Jahre gekommener Tadschike. Etwas abseits vom Ortskern hat Otomboi eine Jurte aufgebaut, seine Familie lebt von Mai bis September hier, vor der Türe grasen seine Yaks. Manchmal vermietet die Familie die Jurte auch an Touristen, für 100 Somoni (rund 13 Euro) am Tag.
„Früher mussten wir uns um nichts kümmern, die Sowjets ließen es an nichts fehlen. Doch jetzt müssen wir selbst schauen, wie wir über die Runden kommen“, erläutert Otomboi. Auch in Bulunkul ist die Neuzeit angebrochen, die Menschen verdienen ihren Unterhalt mit ihren Yakherden und fortan auch mit einer neuen Spezies, die sich hierher verirrt: Touristen.
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