: Das Paradox des belebenden Todes
ÄLTER WERDEN Die Menschheit verändert sich radikal, wenn auch ganz leise, weil es immer mehr ältere Menschen gibt. Die Forscherin Linda Partridge sprach am Mittwoch über die biologischen Grundlagen des Alterns
VON CORD RIECHELMANN
Die Biologie des Alters ist kein Publikumsrenner. Man hat den Saal bei der Ernst-Mayr-Lecture noch nie so leer gesehen wie in diesem Jahr. Sie ist benannt nach dem großen, 2005 verstorbenen Evolutionsbiologen Ernst Mayr, der die Vorlesungsreihe noch selbst mit einem Vortrag zur Philosophie der Biologie eröffnet hatte. Seit 1997 wird die Lecture zu Beginn des Wintersemesters Leibniz-Saal in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von herausragenden Biologen gehalten, die in ihre Forschungen einführen.
Am vergangenen Mittwoch tat das Linda Partridge unter dem Titel „The Biology of Ageing“. Die Britin Partridge ist Aufbaudirektorin des neu gegründeten Max-Planck-Instituts zur Erforschung der Biologie des Alters in Köln. Damit steht sie einer Institution vor, die versucht, den Rückstand von Wissenschaft, Politik und Institutionen zu einem wirklichen Phänomen zu verringern: Ausgehend von den skandinavischen Ländern lässt sich ab der Mitte des 19. Jahrhunderts beobachten, dass die Menschen in den entwickelten Ländern immer älter werden. Wir leben länger als in allen überschaubaren Jahrhunderten zuvor und verändern die Menschheit ganz leise, auf Taubenfüßen sozusagen, einfach durch die Tatsache, dass es immer mehr ältere Menschen gibt. Der Sozialhistoriker Jürgen Kocka wies in seiner Einführung darauf hin, dass unsere Konzepte des Alters selbst unangemessen veraltet sind.
Alterung ohne Programm
Tatsächlich befindet man sich mit dem immer höheren Alter von Individuen in einem Darwin’schen Paradox. Für Darwin war der Tod ein belebendes Element der Evolution. Der Tod schlägt, wie er sagte, riesige Lücken ins Kontinuum der Abstammung und schafft so zufällig, wie er ist, den Platz für Neues. Für Darwin war die Entscheidung, wer leben kann und sterben muss, in keiner Weise vorbestimmt: Leben und Tod sind das zufällige Ergebnis ungesteuerter Prozesse, auf die eine nicht erfassbare Zahl von Faktoren einwirkt. In der Sprache der aktuellen Genetik heißt das, die Lebensspanne und damit der Alterungsprozess ist nicht programmiert, wie es zum Beispiel die Entwicklungsprozesse sind, die aus einer Eizelle ein erwachsenes Individuum werden lassen.
Das ist ein Ergebnis Darwins, dem Partridge nicht widerspricht: Auch für sie bleibt nach Jahren molekularbiologischer Grundlagenforschung Alterung (Ageing) ein nicht programmierter Prozess. Das heißt aber nicht, dass sich auf molekularer Ebene nicht Mechanismen beschreiben ließen, die die Lebensspanne eines Lebewesens positiv oder negativ beeinflussen. Bevor Partridge darauf näher einging, beschrieb sie die Varianzen der Lebensspannen im Tierreich. Mäuse werden drei Jahre alt, die Brandts-Fledermaus 38 Jahre, der Grönlandwal an die 200 Jahre, Schimpansen bis zu 59 Jahre, und die Anemonen-Dahlie altert überhaupt nicht. Den Altersrekord unter Menschen hält bis jetzt Madame Jeanne Calment, die 1875 geboren wurde und 1997 im Alter von 122 Jahren starb. Dabei hatte Frau Calment ihr Leben vielleicht noch etwas verlängert, als sie im Alter von 119 Jahren mit dem Rauchen aufhörte. Partridge platzierte diesen Witz gegen die aktuellen Kampagnen zur Lebensverlängerung mit dem von Deutschen nie erreichbaren spezifischen britischen Humor. Ums Rauchen als Gefahr würde es also an diesem Abend nicht gehen.
Partridge arbeitet mit den klassischen Modellorganismen der Genetik, dem Wurm C. Elegans, der Taufliege Drosophila und mit Mäusen. An diesen Organismen konnte im Experiment gezeigt werden, dass die Mutation eines bestimmten Gens, eines Insulinrezeptors, das Leben verlängern kann. Der genetische Prozess ist aber so kompliziert, dass sich aus ihm allein kein Programm zur Lebensverlängerung ableiten lässt.
Man hat aber in Verbindung mit einer bestimmten Lebensführung bei vielen Organismen beobachten können, dass sich ihr Leben in Gesundheit verlängerte. Das Zauberwort heißt dabei: Kalorienreduktion. Bei Rhesusaffen, Labradorhunden, Ratten, Mäusen, Guppys, Käfern und Taufliegen konnte eine kalorienreduzierte Nahrung bereits das Leben verlängern und die Anfälligkeit für altersbedingte Krankheiten verringern. Bei Taufliegen ging das allerdings mit einer herabgesetzten Fruchtbarkeit einher. Was, auf den Menschen übertragen, in alternden Gesellschaften zum Problem werden kann. Aus dem Darwin’schen Paradox vom belebenden Element des Todes gibt es also auch in der Altersforschung kein Entrinnen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen