aufschwung: Vage Hoffnung
Nicht nur Politiker versprechen großzügig die Rettung von Arbeitsplätzen, Firmenstandorten, Lebensentwürfen. Auch Industrie und ihre Kammern sagen verheißungsvoll: Der Aufschwung ist greifbar, die Aufträge steigen um elf Prozent, die Stimmung ist gut, die Wende geschafft. Aufgedreht blicken sie in die Zukunft. Das ist schön für die Branchen – aber was springt dabei für die BürgerInnen heraus? Ein Aufschwung für alle?
KOMMENTAR VONANNIKA JOERES
Immerhin spricht auch die Industrie von neuen Jobs. Gewinner des letzten Monats waren vor allem die so genannten Investitionsgüter: Dazu gehören neue oder sich vergrößernde Anlagen, die Bauindustrie. Nach Ansicht der Kammern ist das ein eindeutiges Indiz für neue Fabriken, neue ArbeiterInnen. Doch tatsächlich sind in der Baubranche in NRW seit dem Jahr 2000 mehr als 4.000 Ausbildungsplätze gestrichen worden, die Arbeitslosenquote am Bau steigt unaufhörlich. Die Erwartungen können demnach nicht klein genug sein.
Auch landesweit ist vom Industrieaufschwung wenig zu spüren: Die Arbeitslosenquote sank im August nicht entsprechend neuer Aufträge um elf, sondern nur um lächerliche 0,3 Prozent. Eine riesige Wunde klafft weiter zwischen Auftragsbuch und Arbeitslosenzahl. Wachstum bringt eben nicht automatisch Arbeitsplätze, auch wenn das Firmen und Politiker herbei fabulieren und Meldungen von hohen Verkaufszahlen und neuen Aufträgen in Tagesschau und Zeitungen als gute Nachrichten für alle verkauft werden.
Dabei ist es längst eine Binsenwahrheit, dass Unternehmen hervorragend wachsen können, ohne Menschen einzustellen, dass sie mit immer weniger Beschäftigten immer schwärzere Zahlen schreiben. Dennoch wird den Optimisten in der Industrieabteilung genauso geglaubt wie wütenden Politikerreden über Firmen wie BenQ, Vaillant, Babcock oder Opel. Realismus gefährdet eben den Aufschwung.
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