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Der deutsche Komplex

Jedes Jahr lädt das Goethe-Institut KulturmittlerInnen aus aller Welt zwei Wochen lang nach Berlin ein. Man will sie fit machen für ihre Aufgabe: als PartnerInnen im Ausland, den Transfer zwischen der Kultur ihres Landes und der deutschen zu leisten

„Ob man aber etwas als fremd empfindet,hat nichts damit zu tun, woher man kommt. Berlin ist mir fremd. Dennoch fühle ich michder Stadt nahe, obwohl ich aus Bogotá bin“

von WALTRAUD SCHWAB

Luisa Ungar interessiert sich für die persönlichen Geschichten von Leuten. Abstraktes liegt ihr nicht. „Personal stories“ betont die Kolumbianerin noch einmal auf Englisch, um ihre Position klarzumachen. Fragen danach, wie sie Berlin wahrnimmt, welche Bilder, welche Metaphern sie für das ihr Unbekannte der Stadt findet, gefallen ihr nicht. Zu selbstreferenziell, zu typisch deutsch findet sie. Genau diese Fragen allerdings wurden ihr soeben gestellt.

Ungar ist auf Einladung des Goethe-Instituts nach Berlin gekommen. Zusammen mit 16 weiteren internationalen Gästen soll sie sich um Kulturvermittlung zwischen den Ländern bemühen. Mit denen aus der Gruppe, die wie sie noch nie in Berlin waren, sitzt die 30-Jährige um einen Tisch und soll – gegen ihre Vorlieben – ihre Eindrücke von der Stadt in Worte fassen.

Ungars Antwort auf die Frage, kommt deshalb als Protest daher: „Ich mag die Art, wie die Leute gekleidet sind. Es ist eine ehrliche Art, sich zu zeigen“, fügt sie versöhnlich hinzu.

Dass der Kolumbianerin der hiesige Dress-Code gefällt, dass sie ihn sogar ehrlich findet, ist Balsam für die vielgescholtene Berliner Seele. Denn eigentlich haben die HauptstadtbewohnerInnen aus Sicht ihrer bundesrepublikanischen Co-Mitbürgern und -Mitbürgerinnen den Ruf, dem eigenen Aussehen gegenüber nachlässig und gleichgültig zu sein. „Vielleicht bin ich oberflächlich, weil mir die einfachen Sachen wichtig sind“, echauffiert sich Ungar, die in Bogotá eine Galerie leitet und ein alternatives Kunstmagazin herausgibt, „aber ich will keinen Artikel darüber lesen, warum das Fremde fremd ist.“ Ungar belässt es jedoch nicht dabei. Im Gegenteil: Später treibt sie das Gespräch auf ihre Weise vorwärts: „Berlin ist für uns fremd. Ob man aber etwas als fremd empfindet, hat nichts damit zu tun, woher man kommt. Die Stadt ist mir fremd. Dennoch fühle ich mich ihr nahe, obwohl ich aus Bogotá bin.“

Nun greift auch Fiona Allen aus Australien Ungars Kritik auf: „Die Deutschen interessiert, wie andere sie betrachten. Ist das ein Komplex?“

Andere aus der Gruppe begegnen den Fragen nach dem Fremden in Berlin auf direktere Weise. „Im Russischen gibt es das deutsche Wort ‚Kurort‘“, erklärt Nino Palavandishwili aus Tiflis. Designerin und Kuratorin verschiedener Kulturevents in Georgien ist sie. „Berlin ist ein Ort, an dem man sich erholen kann. Überall sehe ich Leute in Cafés sitzen. Woher haben sie das Geld? Warum arbeiten sie nicht?“ Der serbische Regisseur Predrag Kalaba nimmt den Ball auf: „Berlin ist die einzige Insel im deutschen Meer. Das Meer ist kalt.“

Fremde, Meer und Kälte – so schwer diese Worte, übertragen auf den konkreten Alltag, wiegen – poetisch sind sie doch. Christian Kutscher aus Montevideo hat einen deutschen Vater und eine uruguayische Mutter. Da der 28-Jährige die Sprache seines Vaters perfekt beherrscht, kann er der Stimmung eine Dynamik verleihen: „Berlin hat verschiedene Ebenen, die übereinander liegen. Manche sind leer, manche warten auf etwas, manche werden sich nie füllen.“ Aufgefallen ist dem Architekturdozenten, dass er nicht sagen kann, wo die Mitte der Stadt ist. „Die Ikonen – Reichstag, Brandenburger Tor, Museumsinsel – sind da, allein sie reichen für große Gefühle nicht aus.“ Eigentlich erwarte er, dass eine Hauptstadt mit ihrem besonderen Status kokettiert. Berlin hingegen ist eine Zukunftsprojektion. Die Stadt käme als Puzzle daher, dem ständig ein Stück fehlt. Sie ist ein Mosaik, zusammengesetzt aus Auslassungen. Eine „Collage-City“, die sich nicht aufgibt.

Die vom Goethe-Institut eingeladenen Kulturmittler sind gern in Berlin, wenngleich die Stadt sie ratlos macht. Mit dieser Ratlosigkeit kreativ umzugehen ist die Herausforderung, schließlich sollen sie doch den Kontakt zwischen ihren Ländern und Berlin herstellen. Das Dilemma lösen alle auf pragmatische Weise: Weil sie keine Antworten haben, laden sie, wenn sie in ihren Ländern einen Kulturaustausch organisieren, gern Berliner und Berlinerinnen aus Kunst und Gesellschaft ein, die ihnen die Stadt nahe bringen sollen. Dass jeder Berliner, jede Berlinerin die Stadt auf eine andere Weise erklärt, nehmen sie gerne in Kauf. Dies mache die deutsche Metropole eben aus. Nicht nur die Stadt, auch das Bild der Stadt seinie vollendet, meint Anna Ubbelohde, die griechische Kulturmanagerin.

Das Programm, das den Gästen geboten wird, darf sich sehen lassen: Theaterbesuche, Vernissagen, Treffen mit hiesigen Kulturgrößen. Vor dem Gespräch über ihre Wahrnehmung des Fremden waren sie in der Sasha-Waltz-Produktion „dialoge 06“ im Radialsystem, dem neuen Berliner Kulturort in Friedrichshain. Auf allen fünf Etagen des beschaulich an der Spree gelegenen Gebäudes, eines ehemaligen Pumpwerks, wurde eine Synthese aus alter Musik, Barockgesängen, moderner Improvisation und modernem Tanz aufgeführt. Die Leute im Publikum durchwanderten die Räume nach ihrem eigenen Rhythmus, ihren eigenen Vorlieben. Zwischendurch konnten sie an der Bar einen Espresso trinken, im Garten an der Spree Kuchen essen, den Ausflugsbooten hinterherschauen, sich verlieren in der Schönheit, im Wohlklang oder der inneren Leere. Wie Innen und Außen, Alt und Neu, Alltag und Ästhetik aufeinandertreffen, entscheidet jeder im Publikum selbst. Manchmal dirigiert nur der Zufall. Als ein Tänzer und eine Tänzerin auf einem kleinem Boot auf der Spree in die Performance miteinbezogen werden, winken die Leute auf dem Ausflugsdampfer, der an ihnen vorbeifährt, wild zurück. Sie verstehen die Bewegungen von Tänzer und Tänzerin als Gruß, nicht als Kunst.

„Perfekter konnte es nicht sein“, kommentiert Anna Ubbelohde aus Athen später. „Diese Freiheit, die mir das Stück lässt, ist grandios“, meint Christian Kutscher aus Montevideo. „Ich war glücklich“, bringt der Belgrader Predrag Kalaba seine Gefühle auf den Punkt. Die anderen nicken. Dann allerdings durchbricht der Kommentar einer Berlinerin, die zufällig auch am Tisch sitzt, den Wohlklang. „Mich hat die Aufführung traurig gemacht.“ Warum?, fragt einer. „Weil sie so schön war.“

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