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Aquavit, bis der Elch kommt

Auf den Spuren von Biber und Elch in Norwegens Wäldern. Doch die Tierwelt macht sich mitunter rar. Macht nichts. Durch Beeren laufen, das ist Norwegens Volkssport, solange der Sommer dauert. Und den Elch gibt’s dann zum Abendbrot

VON THOMAS HEINLOTH

Nicht, dass Johan zu viel versprochen hätte. „Vielleicht“, hatte er gesagt. „Mit ein bisschen Glück.“ Es sei eigentlich zu früh am Tag, sowieso eine ungünstige Jahreszeit, die Natur nun mal kein Zoo, und überhaupt und um mögliche Erwartungen so tief wie möglich zu hängen: „Es ist nur eine nasse Ratte.“ Und wer will schon eine nasse Ratte sehen? Andererseits: Was ist eine Bibersafari ohne Biber?

Wir klettern vorsichtig in wackelige Fiberglas-Kanus („den Schwerpunkt immer schön unten halten“), tauchen rote Paddel in den schwarzen Trysal-Fluss und lassen uns treiben in Norwegens dunkeln Wäldern. „Die Inuit“, hat Johan gesagt, „haben 45 Wörter für Schnee. Wir haben 45 Wörter für Wald.“ Der Wo-die-Birken-locker-zusammenstehen-Wald, der Wald-der-vom-Schneesturm-zerzaust-ist, der Kiefern-am-Hang-Wald. Und das hier ist der Wald-durch-den-der-Fluss-läuft-in-dem-der-Biber-schwimmt. Nur: nicht heute. Heute hat der Biber Pause.

„Haltet nach etwas Ausschau, das aussieht wie ein schwimmender Hund“, hat Johan gesagt, „vor allem in Ufernähe.“ Doch das Leben auf dem Trysal ist auch dort ein ruhiger Fluss. Dann hebt der Steuermann im ersten Kanu aufgeregt das Paddel – unser Geheimzeichen für Biber-Alarm – und zeigt auf eine Ente. „Die ist sehr selten“, sagt Johann, „wir legen jetzt da vorne an.“ Da steht Jan, der Fliegenfischer, hüfttief im Wasser, lässt seine Leine kunstvoll Pirouetten drehen und bietet an: „Ich kann euch ja den Biber machen.“ Mit dem Biber lebt Jan in friedlicher Koexistenz, denn wenn es sie tatsächlich geben sollte, frisst die nasse Ratte aus dem Trysal keine von den Hechten und Maränen, auf die es Fliegenfischer abgesehen haben. Bis zu 60 Stück am Tag, sagt Jan, hole er aus dem Wasser, die meisten werfe er wieder in den Fluss.

„Ihr hättet eine Elch-Safari machen sollen“, sagt Johan, der Biber-Fachmann, „bei Elchen gibt es eine 100-Prozent-Garantie.“ Für eine Elch-Safari ist es jetzt zu spät, aber Per, der Busfahrer, weiß eine Stelle dafür, an einer Lichtung, fast auf dem Nachhauseweg. „Ich kann nichts garantieren“, sagt er und biegt links von der Hauptstraße in einen Schotterweg, wo wir ausschwärmen und in der Dämmerung den Lockruf nachahmen, den Per uns beigebracht hat.

Über vielstimmigen Elch-Gesängen geht schließlich die Sonne unter, und Per kommt mit einer Handvoll daumengroßer Exkremente: „Seht ihr: Er war ganz sicher hier.“ Zum Trost spendiert er eine Runde Aquavit Linie, Norwegens kräuterversetzten Kartoffelschnaps, der nur schmeckt, wenn er in Sherryfässern zweimal den Äquator überquert hat. Das jedenfalls beschwören das Etikett und Per, der die Flasche so lange kreisen lässt, bis wir im Bus endlich Kontakt aufnehmen mit Norwegens Tierwelt und uns im Traum der Elch erscheint aus all den Elch-Geschichten, von denen jeder hier mindestens eine zu erzählen hat. Die Geschichte vom Elch vor der Garage, die vom Blattschuss letzten Sommer, die vom zahmen, den man mit der Flasche aufgezogen hat. Und am Abend dann kommt er ganz real daher, als butterweiches Gulasch, eingerahmt von den Preiselbeeren, durch die wir morgen laufen werden.

„Ihr werdet nicht nur Beeren sehen“, verspricht tapfer Tove, der Naturpark-Ranger. Durch Beeren laufen, das ist Norwegens Volkssport, solange der Sommer dauert. Im 20-Kilometer-Radius um jeden Parkplatz steht man gebückt im Unterholz, einen Plastikeimer in der Hand, halb voll mit murmelgroßem Nachtisch. Glücklich, wer einen Multebeeren-Standort findet, die sind süßsauer, selten und orange, außerdem bald nach der Ernte Tiefkühlkost. Weihnachten ohne Multebeeren ist in Norwegen wie Weihnachten ohne Schnee.

Wir machen uns mit Blaubeeren die Zunge dunkellila und laufen weiter über Islandmoos in Mint. Die Tiere hat der Wald verschluckt. Granitgrau wie Wolf und Rentier sind die Felsen hier, braun wie die Bären die Maronen und die Birken jetzt im Herbst gelb gescheckt wie die Luchse, die die Jäger schon wieder schießen, weil es zu viele sind. Und über der Baumgrenze thront der Rondslottet, der höchste Berg im Rodane-Nationalpark, elchfellfarben wie ein schrundiger Nashorn-Nacken. Ein Schneehuhn flattert aufgeregt in den blankpolierten Himmel, sonst aber bleibt die Wohngemeinschaft in diesem einen von Norwegens 45 Wälder unsichtbar. „Sorry, Guys“, sagt Tove, „vielleicht das nächste Mal.“ Wir aber atmen kalte und kristallene Luft, hören, wie weit weg Wasser über einen hohen Felsen stürzt. sehen auf die Gletscher und unsere lila Fingerkuppen. Und vermissen nichts.

Nur auf der Rückfahrt Richtung Oslo werden wir in Elverum dann doch rechts ranfahren, für einen kleinen Zwischenstopp bei Norwegens berühmtem Waldmuseum. Dort haben sie sensationelle Rentier-Sandwiches, einen lohnenden Museums-Shop, vor allem aber einen, den wir noch kennen lernen wollen: Im ersten Stock, da steht er immer, garantiert: Castor fiber, der europäische Biber, ausgestopft und angenagelt, gleich hinter den Bären und der Elch-Familie.

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