: Morbides Mekka hinter der Mauer
Experimentierfeld fürs andere Leben: Das Arsenal-Kino präsentiert eine umfangreiche Reihe mit Filmen aus dem Westberlin der Achtzigerjahre – Exkursionen in eine Stadt, die mit dem Mauerfall genauso verstorben ist wie die Hauptstadt der DDR
VON DETLEF KUHLBRODT
Man ist ein bisschen skeptisch, wenn Epochen, die man selbst bewusst miterlebt hat, noch einmal umfangreich untersucht werden. Es geht ja um die 80er. Vor zwei Wochen also erinnerte man sich in der Volksbühne an den „Magnettonbanduntergrund“ der DDR, an seltsame Ost-Bands und Undergroundkünstler. Nun präsentiert das Kino Arsenal eine sehr umfangreiche Reihe mit Filmen aus dem West-berlin der 80er Jahre. Titel: „Wer sagt denn, dass Beton nicht brennt, hast du’s probiert“.
Zunächst steht das unter Nostalgieverdacht. In Westberlin gibt es sowieso noch so viele Orte, an denen die Achtzigerjahre nie geendet haben; Bars und Kneipen, in denen Leute seit mehr als 20 Jahren stehen und immer noch die gleiche Musik hören, Künstler, die seit mehr als 20 Jahren das Gleiche machen. Auf der anderen Seite gibt’s allerorten auch wieder junge Punks, die sich die frühen Achtziger als ihre Rolemodelreferenzzeit ausgesucht haben; und man denkt daran, dass viele Dinge, auf die man sich selber in den Achtzigern bezog, aus den Sechzigern kamen. So verschränken sich die Zeiten. Das grundsätzlich Besondere an den Achtzigern besteht vielleicht darin, dass sie 89 versiegelt wurden; dass das alte Westberlin genauso verstorben ist wie die Hauptstadt der DDR.
Westberlin war eine subventionierte Insel, Schaufenster des Westens, morbides Mekka für Künstler, Aussteiger, Politaktivisten; Experimentierfeld für die, die nach einem anderen Leben suchten. Die Erinnerung an 68pp. und den Linksradikalismus der Siebziger war prägend, wenn sie auch im Verlauf dieses düsteren Jahrzehnts schal wurde. Spätestens nach den Häuserkämpfen Anfang der Achtziger waren die utopischen Ideale verbraucht.
Der Riss, der durch die Achtziger ging (es ist nicht nur ein zeitlicher), wird in den Filmen recht schön deutlich. Zunächst gibt es noch diese linksoptimistischen Filme mit ihren attraktiven Weltbildern: Die Guten kämpfen gegen die herrschenden Bösen. Die Bösen sind verkappte Faschisten und führen die Welt in den Untergang; das gute Wir ist eine teils junge bunte Mischung aus Freaks, 68ern, Linksradikalen, Hausbesetzern, befreundeten Künstlern. Die WortführerInnen des Wir kommen arrogant rüber. Die Menge ruft „Hopp, hopp, hopp, Gorleben stop“.
Der 12-minütige Film „Tuwat – ein Film aus Berlin“ (Tuwat-Wochenschau-Filmkollektiv) zeigt, wie Berliner Politaktivisten tausende Gleichgesinnte am Übergang Dreilinden begrüßen, und erinnert daran, dass die Kräfte des Guten alle ähnlich aussahen. Was praktisch war. Die klassische Dokumentationen „Schade, dass Beton nicht brennt“ (Novemberfilm, 1981) und „Und wenn wir nicht wollen? Oder wer saniert hier wen?“ (Udo Radek, Lothar Wolle) handeln von Sanierungswahn und Häuserkampf. Rudolf Thomes sanierungsthematische Liebesgeschichte „Berlin Chamissoplatz“ variiert Ähnliches.
Diese politoptimistischen Filme mit ihrem Glauben an das revolutionäre Kollektiv der Guten wirken wie Nachwehen der Siebziger. Much more eighties und interessanter sind die Filme, in denen es – immer auch auf die Gesellschaft abzielend – um individuelle Emanzipationsversuche geht; darum, letztlich rousseauistisch vom eigenen Begehren und von verfemten Wünschen zu berichten.
Frank Riplohs „Taxi zum Klo“ (1980), der von einem schwulen Lehrer handelt, tut das auf drastische Weise. Vormittags gibt der vom Regisseur gespielte Reformpädagoge kleinen Kindern Unterricht; nachmittags bläst er Schwänze, die Unbekannte durchs Glory Hole im Klo stecken, oder klappert öffentliche Toiletten auf der Suche nach Sexpartnern ab. Während er sein Glück in der Promiskuität sucht, möchte sein häuslicher Freund gerne aufs Land ziehen. Der teils witzige Film ist auf eine durchaus attraktive Art traurig, wie die meisten Filme, die von Promiskuität handeln.
Am traurigsten und schönsten, weil so bewegend amateurhaft, wird das Sexgierglücksthema vielleicht in Lothar Lamberts „Fräulein Berlin“ (1984) behandelt. Melancholisch, aber dennoch optimistisch und lebensfroh ist dagegen Rosa von Praunheims „Stadt der verlorenen Seelen“ (1986), der von amerikanischen Rocksängern, Tänzern, Schwarzen, Schwulen und Transsexuellen handelt, die in Berlin dem Glück hinterherjagen.
Daran, dass Westberlin in den Achtzigern von einer oft depressiv-narzisstischen Langeweile und Endzeitstimmung geprägt war, erinnern viele Kurzfilme, in denen oft einsame Künstler ihrer Erfahrungs- und Ereignislosigkeit frönen und sich in leeren Zimmern inszenieren. Interessanterweise sind die zur gleichen Zeit in Ostberlin entstandenen Undergroundfilme sehr ähnlich. Manche, wie die Filme der Künstlergruppen Tödliche Doris oder Notorische Reflexe gingen auch nach vorn.
Punk war ein anti68er, antihippie, antibürgerlicher Versuch, der inneren und äußeren Leere durch Krach, Selbstbeschädigung, Alkohol, Gewalt, Bierdosenschmeißen und lustige Zynismen zu entkommen, denkt man, wenn man sich den prima Film von Manfred Jelinski („So war das SO 36“, 1984) noch einmal anschaut. Später wurde Westberlin immer blöder.
Am besten gefällt mir eigentlich Ulrich Edels „Die Kinder vom Bahnhof Zoo“ (1981); der deutsche Drogenfilmklassiker schlechthin sozusagen, der viele, nicht nur junge Mädchen aus Westdeutschland dazu verführte, nach Westberlin zu kommen und es der Heldin Christiane F. gleichzutun.
Der zum Teil dokumentarische Film, der bekanntlich von der 13-jährigen Christiane und ihren Freunden erzählt, die David Bowie verehren, heroinsüchtig werden und auf den Strich gehen, ist filmisch ganz großartig. Vor allem die erste Dreiviertelstunde, die im Bowie-Auftritt in der Deutschlandhalle kulminiert, ist großes Kino. (Im Rest des Films versucht Edel verzweifelt, die Drogenfaszination des ersten Teils wieder zurückzunehmen, was naturgemäß nicht gelingen kann.)
In den Achtzigern war das Kino als Ort sehr wichtig. Teil des Programms sind deshalb vier Exkursionen, die zu Traditionsorten führen: ins „Café M“ (11. 10.), „Kino Eiszeit“ (12. 10.), ins alte „Arsenal“ in der Welserstraße (28. 10.) sowie ins neue „Ex’n’ Pop“ in der Potsdamer Straße (31. 10.). Wenn der Genius Loci der Achtziger dort noch verweilt, wird er wohl ziemlich alt, fett und garstig geworden sein.
Vorführungstermine und weitere Veranstaltungen unter www.fdk-berlin.de
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen