: Hallo, du alte Pfeife!
Süßer Siegeszug: Als schickes Lifestyle-Accessoire berauscht die orientalische Wasserpfeife neuerdings auch das Nachtleben westlicher Großstädte. Oriental Lounges sind die trendige Fortschreibung der Dönerbude, eine Erfolgsgeschichte ethnischer Ökonomie
von EDITH KRESTA
„Man liegt halb auf seinem Platz, lümmelt sich in die Kissen, kann nach einem anstrengenden Arbeitstag wunderbar relaxen und abschalten. Nach einem gelungenen Abend, der so wie ein Urlaubstag in einem fremden Land war, ist man total erholt“, schreibt ein begeisterter Besucher im Internet über die Oriental Lounge in Berlin-Kreuzberg. Intimer als auf den bequemen, samtroten Sitzkissen in einer der schummrigen Nischen lässt es sich in der Tat kaum abhängen, am besten mit einer der verschnörkelten goldenen Wasserpfeifen vor sich. Sind dann auch noch die Vorhänge diskret zugezogen wie die Schleier muslimischer Frauen, ist der Tausendundeine-Nacht-Kitsch perfekt.
Orientalische Cafés liegen im Trend – ein später Siegeszug mit süßen Duftnoten: Apfel-Honig, Brombeere, Melone. Im Gegensatz zu Genussmitteln wie Kaffee oder Tee konnte sich die orientalische Wasserpfeife in Europa nämlich lange nicht durchsetzen. Ausgerechnet jetzt, in Zeiten, da das Ansehen der arabisch-muslimischen Kultur im Westen gründlich in Misskredit geraten ist, wird die Wasserpfeife zur Kulturbotschafterin, ein Gegentrend zur weitverbreiteten Islamophobie und zur ökonomisierten Welt des Shareholder-Value. Die schlichte Botschaft: Nichtstun ist mit Wasserpfeife am schönsten.
Berlin, Wiesbaden, Paris, Madrid, Zürich, Rom, London, Los Angeles – Oriental Lounges sind überall. Hier ist das Männerbündlerische orientalischer Cafés längst passé, hier trinken die zumeist jungen Gäste Cocktails statt Tee zur Wasserpfeife, türkisch shisha genannt. Oriental Lounges sind die trendige Fortschreibung der Dönerbude. Sie kommen aus der ethnischen Nische und haben diese doch längst verlassen. Da zumeist Kinder oder Enkel von Migranten Oriental Lounges betreiben, sind diese auch ein Beispiel dafür, welche neuen Akzente die zweite und dritte Generation der Einwanderer in Europa setzt.
„Der deutsche Shisharaucher ist im Schnitt unter 20, gut gebildet und Genießer. Damit unterscheidet er sich grundlegend vom Archetyp des orientalischen Nargileh-Konsumenten. Dem Alter nach zumindest: Wir sehen im Morgenland Männer im besten und zweitbesten Alter zusammen auf Teppichen hocken und dampfen, während hierzulande Halbwüchsige auf dem Sofa blubbern“, schreibt Erik Presker in HookahMag, dem Fachmagazin für orientalische Wasserpfeifen.
Und sein Kollege Tim-Niklas Kubach ergänzt: „Es ist gemütlich. Man muss sich Zeit nehmen, auch um die Wasserpfeife vorzubereiten. Es ist gesellig und gemeinschaftlich. Die Wasserpfeife ist bei Jugendlichen das Pendant zum Chillen und ein Gegengewicht zur schnelllebigen Zeit.“ Der 22-Jährige ist seit fünf Jahren passionierter Raucher. „Die Leute suchen nach etwas, wo sie sich entspannen und gemütlich zusammensitzen können. Und der Geschmack ist einmalig. Toll nach Früchten!“ Sein Lieblingstabak? „Golden al Fakhar Black Grape. Schwarze Traube. Erinnert an Weingummi, weich und süß.“ Süße Regression zum süßen Tabak. Das Nuckeln am Schlauch macht Jugendliche froh – wie einst als Kinder Haribo.
Seit einem halben Jahr arbeitet Kubach als Redakteur bei HookahMag. Hookah ist eine weitere Bezeichnung für die Wasserpfeife. „Wir können uns durchaus mit anderen Fachzeitschriften vergleichen“, sagt Kubach. „Wir sind mit einer Auflage von 3.000 gestartet und haben mittlerweile schon über 200 Abonnenten.“ Das neugegründete Special-Interest-Magazin erscheint vierteljährlich und wird per Internet und in Shisha-Shops vertrieben. Die Redaktion stellt darin die neuesten Pfeifenmodelle und Tabaknoten vor, testet Oriental Lounges bundesweit und in der aktuellen Ausgabe auch Dubai, „das Paradies für Freunde der orientalischen Wasserpfeife“.
Denn auch in der Türkei und der arabischen Welt erlebt die Wasserpfeife derzeit eine Renaissance als schickes Lifestyle-Accessoire. In Kairo, Beirut oder Istanbul werden viele Cafés, in denen Männer bislang unter Männern rauchten, auch von Frauen erobert. Was in Ägypten oder Tunesien zu Zeiten der gesellschaftlichen Modernisierung und republikanischen Umgestaltung als Gipfel orientalischer Faulenzerei und Nichtsnutzigkeit verpönt war – in Tunesien ist die Wasserpfeife, arabisch narghil genannt, bis heute aus der Öffentlichkeit verbannt –, wird nun im Alltag hektischer Metropolen als kommunikatives Mittel der Entschleunigung neu belebt.
Der Kult um die Wasserpfeife hat sich – wie vieles andere auch – zunächst im Internet entwickelt. Eine große Community tauscht dort Tipps und Tricks, Pfeifenmodelle und neue Gewohnheiten aus. Das nötige Zubehör wird gleich mitbeworben. Und natürlich auch der Gesundheitsaspekt behandelt. Denn nicht nur die Eltern Pubertierender fürchten um die Gesundheit ihrer Kinder, wenn nach dem dreizehnten Geburtstag die erste Wasserpfeife im Jugendzimmer qualmt.
„Alles, was man raucht, ist gesundheitsschädlich“, weiß Tim-Niklas Kubach, der gerade fürs HookahMag einen Artikel über das Gesundheitsrisiko geschrieben hat. Er zeigt sich damit einsichtiger als viele Jugendliche, die es für unbedenklich halten, Wasserpfeife zu rauchen. Studien beweisen jedoch das Gegenteil. „Im Vergleich zum Zigarettenkonsum scheinen die Gesundheitsgefahren infolge des Wasserpfeifenrauchens nur unwesentlich geringer“, ergab eine Untersuchung des Bundesinstituts für Risikobewertung. „Im Einzelnen wurde eine Reihe von Schadstoffen, die aus dem Zigarettenrauch bekannt sind, auch im Rauch der Wasserpfeife nachgewiesen, teilweise sogar in höherer Konzentration als im Zigarettenrauch.“
Abschrecken lässt sich davon keiner, zu anziehend ist das verruchte Image der Wasserpfeife, mit der man ja – zumindest theoretisch – auch Cannabis rauchen könnte. Das macht, neben den kommunikativen und entschleunigenden Eigenschaften des Rauchrituals, die Wasserpfeife erst richtig spannend. Sie entführt einen aus dem Hier und Jetzt, ist gesellig, fremdartig und kitschig schön – orientalisch eben. Und so kommt mancher auf den Geschmack: Tim-Niklas Kubach jedenfalls will demnächst in ein arabisches Land fahren, weil es ihn jetzt „irgendwie doch interessiert“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen