piwik no script img

Experte fürchtet Dammbruch

TOTENKULT „Friedhofskulturell guckt die ganze Republik nach Bremen“: Reiner Sörries vom Museum für Sepulkralkultur warnt vor psychologischen und finanziellen Folgen einer Friedhofszwang-Aufhebung

Der Theologe und Kunsthistoriker Reiner Sörries sieht die geplante Aufhebung des Friedhofszwanges in Bremen kritisch. Auf die Angehörigen könnten psychische Probleme zukommen, auf Kommunen und Kirchen als Träger herkömmlicher Friedhöfe finanzielle Schwierigkeiten, warnt der Direktor des Kasseler Museums für Sepulkralkultur. Bremen will als erstes Bundesland ermöglichen, dass Angehörige Urnen zu Hause aufbewahren dürfen.

Würde der Friedhofszwang in Bremen fallen, wäre das nach Sörries’ Einschätzung ein Dammbruch. „Friedhofskulturell guckt die ganze Republik nach Bremen“, bekräftigte Sörries. Doch wer die Urne seines Angehörigen auf dem Kaminsims im Wohnzimmer aufbewahre, könne möglicherweise schwerer loslassen. „Die Distanz zum Toten ist wichtig. Die Grabstelle auf dem Friedhof erlaubt, Nähe und Distanz selbst zu bestimmen.“

Geschichtlich sind Friedhöfe nach Angaben des Museumsdirektors auch die Errungenschaft einer solidarisch denkenden Bürgergemeinschaft, die kollektive Trauer ermöglichen wollte. Wenn die Urnen zu Hause aufbewahrt würden, schränke das den Zugang zum Trauerort ein: „Das kann besonders für Patchworkfamilien schwierig werden.“

Fällt der Friedhofszwang, müsste nach Einschätzung von Sörries überdies die öffentliche Hand als Betreiber von Friedhöfen finanzielle Einbußen hinnehmen. Möglicherweise seien dann höhere kommunale Zuschüsse nötig, um die Gebühren nicht massiv ansteigen zu lassen.

Er selber wünsche sich den Erhalt der Friedhöfe. „Sie sind ein wichtiger Ort kollektiven Totengedenkens und ein sichtbares Zeichen der Endlichkeit in einer Welt, in der der Tod nicht vorkommen soll“, betonte Sörries, der auch Geschäftsführer der bundesweiten Arbeitsgemeinschaft Friedhof und Denkmal ist.

Die neue Regelung würde das aus dem Jahr 1934 von den Nationalsozialisten eingesetzte und in weiten Teilen noch bis heute gültige deutsche Feuerbestattungsgesetz zumindest teilweise aushebeln. Danach muss eine Urne mit der Asche des Toten zwingend sofort auf Friedhöfen oder besonders ausgewiesenen Arealen wie Friedwäldern beigesetzt werden.  (epd)

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen