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Ein starkes Stück Sauerbraten

aus DüsseldorfANNIKA JOERES

Ist das Nordrhein-Westfalen? Zwei rote Teppiche liegen vor der Düsseldorfer Tonhalle, dutzende Limousinen passieren, behandschuhte Hände öffnen Wagentüren, geleiten Ex-Minister, Wirtschaftsgrößen und ProfessorInnen zum passenden Eingang. Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) fährt vor, hält eine kleine Rede vor der Pressemeute. Er sagt „Nordrhein-Westfalen ist“ – dann setzt die Blaskapelle einer britischen Ehrenformation ein. Als sie ihre Trompeten absetzen, nickt Rüttgers zufrieden und geht mit seinen Bodyguards ins Gebäude.

Die Landesregierung hat zum Festakt geladen, noch einmal soll am Mittwochabend das 60-jährige Jubiläum von NRW gefeiert werden. Diesmal darf nur mit Einladung geklatscht werden: Im August hatten noch hunderttausende BürgerInnen auf einem zweitägigen Bürgerfest in Düsseldorf den Geburtstag gefeiert. Gestern kamen 1.500 geladene Gäste. Aber wer ist Nordrhein-Westfalen? Die Staatskanzlei hat ein „Brainstorming“ gemacht, wer an der zweistündigen Feier teilnehmen soll. Klar war: Die Bundeskanzlerin darf nicht fehlen, ebenso wenig die Mitglieder der abgewählten rot-grünen Landesregierung, Industrielle. Und Ute Ohoven. Sie nutzt den breiten Teppich der RednerInnen. Die blonde Wohltäterin wird zurückgerufen, peinlich berührt schleicht sie sich zum nächsten Eingang. Arndt Klocke, Landesvorsitzender der Grünen, kommt mit dem Rad. Angela Merkel, die Bundeskanzlerin, steckt im Stau. So lassen sich die live berichtenden Radio-ReporterInnen erst einmal über das Menü aus. Zum Dessert werden rote, grüne und weiße Cremes serviert.

Auch die Kinderchöre wurden dreifarbig in den Landesfarben eingekleidet, sie singen das NRW-Lied Nummer 2: Ein von SchülerInnen und einem Redakteur der Rheinischen Post erfundenes Ständchen. Das von Jürgen Rüttgers so gerne beschworene Jubiläum hat gleich zwei landespatriotische Stücke hervorgebracht, später wird der Chor das „Lied für NRW“ von den Bläck Fööss intonieren. Populär wurde keines der beiden. Der Text ist unbekannt, niemand der Gäste singt mit.

Ist das Nordrhein-Westfalen? Die Leinwand zeigt Bilder aus dem 1946 von den Briten gegründeten Land. Rauchende Schlote, der Tetraeder in Bottrop, die idyllische Ruhr. Zerbombte Städte, die Gehry-Bauten in der Düsseldorfer Rheinpromenade, Trümmerfrauen. Die ersten Wahlen, die Einkaufszone in Essen, trauernde DemonstrantInnen nach dem Brandanschlag in Solingen, bei dem fünf Menschen ums Leben kamen. „Oh du schönes Land“, singt der Chor.

Wie sind die Nordrhein-Westfalen? Ministerpräsident Jürgen Rüttgers hält die längste Rede des Abends, er spricht in Zeitlupe. Kein kritisches Wort kommt über seine schmalen Lippen, er lässt es bei einer Liebeserklärung an die BürgerInnen bewenden. Aus Fremden machten sie Freunde, weil sie dann nicht mehr Fremde sind, erklärt er. „Ich mag die Menschen mit ihrer direkten, schnörkellosen Art“, sagt er ins Mikrofon. Mit ihrem Geist und Witz, ihrem gesunden Empfinden für Gerechtigkeit und Fairness, mit ihren weiten Herzen und festen Händen. Nordrhein-Westfalen sei das Land der neuen Chancen, sagt der CDUler, „für alle, die zu uns gekommen sind.“ Die Augenbrauen von Faruk Sen zucken. Steif sitzt er auf seinem Platz in der dreizehnten Reihe. Der Leiter des Essener Zentrums für Türkeistudien hat in seinen Forschungen immer wieder gezeigt, wie wenig Chancen das Land für Menschen aus anderen Ländern bietet. Als Rüttgers nach zähen zwanzig Minuten seine Rede mit einem „Glück auf!“ beendet, klatscht Sen müde.

Die „liebe Angela“, wie Jürgen seine oberste Chefin nennt. Sie hat neun Jahre in Bonn gearbeitet, aber Nordrhein-Westfalen ist für sie vor allem ein Symbol für deutschlandweit gut funktionierenden Föderalismus. Außerdem gedeihe hier Kultur, schließlich wurde Essen für das Ruhrgebiet zur Kulturhauptstadt 2010 gekürt. „NRW ist ein starkes Stück Deutschland“, sagt Merkel. Ihr Spruch ist nicht neu: Schon das Ruhrgebiet warb mit dem Slogan, auch die Fleischlobby von CMA nutze ihn vor zehn Jahren. Gemeint waren damals Wurst und Koteletts.

Was ist NRW? Brigitte Herzogin von Gloucester freut sich in ihrer Rede, dass die meisten TouristInnen in Köln aus Großbritannien kämen. NRW sei das „powerhouse“ Deutschlands, allein durch die „big companies“ die hier ihren Sitz hätten. Die Adlige war auch schon zum vierzigsten Jubiläum in der Landeshauptstadt zu Besuch, damals beeindruckten sie die silbrig-weißen Gehry-Häuser. Die Duchess überbrachte Grüße von der Queen, mit der die gebürtige Dänin zusammen im Kensigton Palace wohnt. Dort ist gestern Rüttgers hingeflogen – die Briten wollen die Gründung ihres North Rhine-Westphalia auch noch einmal zu Hause feiern.

Nur Peer Steinbrück ist nicht in Feierlaune. Der jetzige Bundesfinanzminister und ehemalige SPD-Ministerpräsident von NRW hält die moralischste Rede. Vielleicht will er es seinem Nachfolger Rüttgers, der ihn nach nur zwei Jahren aus dem Amt hob, nicht so leicht machen. Er behauptet, die Menschen in NRW seien so ehrlich und direkt, Prachtbauten passten nicht zu ihnen. Steinbrück blickt in die einem Planetarium nachempfundene Konzertsaal. Er wurde vor einem Jahr renoviert, die Wände strahlen metallblau. Der Hanseat macht im ganzen Land Spannungen aus. „Es ist nicht alles gelungen.“ So gebe es Fliehkräfte zwischen Armen und Reichen, Integrierten und Nicht-Integrierten, Jung und Alt, Arbeitern und Arbeitslosen. „Ich will hier nichts beschönigen“, sagt er. Den Gästen, meist in Anzug, nur wenige im Kostüm, gefällt Steinbrück. Sie applaudieren ihm lange, einige klatschen für ihren Chef aus vergangenen Tagen.

Wo ist NRW? Düsseldorfs Oberbürgermeister Joachim Erwin macht kein Geheimnis aus seinem Anliegen: Für den schmal gewordenen Christdemokrat ist NRW Düsseldorf, nicht andersherum. Die Landeshauptstadt ist schön, dass habe schon Heinrich Heine gesagt. „Sie ist das Zug- und Paradepferd des Landes. Die ganze Welt fühlt sich hier wohl.“ Die Gäste lehnen sich zurück. Erst bei der anschließend gesungenen Nationalhymne bewegen sich die Stuhlreihen, alle singen lauthals mit. Das Buffet ist eröffnet.

Am rheinischen Sauerbraten bildet sich eine lange Schlange. Alois Glück, der kleine bayrische Landtagspräsident, balanciert vier Klöße, einer rollt auf den Boden. Er bemerkt es nicht, steht neben Angela Merkel und Jürgen Rüttgers am Tisch. Nur ein paar FDPler sind unzufrieden. Sie verstehen nicht, wieso Johannes Rau so oft erwähnt wurde: „Der hat uns den Schlamassel in NRW eingebrockt.“

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