piwik no script img

„Ich schinde mich gerne“

Tobias Angerer war der beste Langläufer der vergangenen Saison. Vor dem Weltcupauftakt am Wochenende in Düsseldorf spricht der Oberbayer über die Freiheit in der Loipe, die Faszination von Massenstartrennen – und über hohe Blutwerte

INTERVIEW ANDREAS RÜTTENAUER

taz: Herr Angerer, Sie sind Langläufer. Ist das nicht eine arg eintönige Beschäftigung?

Tobias Angerer: Ja, Langlauf ist langweilig, so hieß es früher immer. Da bist du aus dem Skistadion raus und in den Wald rein, und dann bist irgendwann wieder zurückgekommen nach 30 oder 50 Kilometern. Aber die Zeiten sind vorbei. Es gibt jetzt eine neue Generation von Langläufern, die wollen das direkte Duell, wo du dich im Massenstart durchsetzen musst, wo du Zweikämpfe hast. Im Sprint zu Beispiel, wo einfach Äktschn dabei ist. Und – wo du dich im direkten Duell behaupten musst.

Haben Sie eine Lieblingsdisziplin?

Ich bin ein ganz großer Fan von Massenstart und den Verfolgungsrennen, weil du einfach siehst, wo du dich im Moment im Feld aufhältst. Und für den Fernsehzuschauer ist es natürlich auch interessanter. Der in Führung ist, läuft vorne. Die Einzelstartrennen gehören immer noch genauso zum Langlauf dazu, aber der Massenstart hat den Langlauf eigentlich nach vorne gebracht.

Bei vielen Läufern galten die neuen Disziplinen lange Zeit als notwendiges Übel, um den Langlauf populärer zu machen.

Mittlerweile wird es von den Athleten angenommen. Es haben am Anfang einige geschimpft. Für mich persönlich ist es am aufregendsten.

Ihre Sportart wird immer wieder auch mit Doping in Verbindung gebracht.

Ich denke, nach den Dopingskandalen 2001 und 2002 hat sich der Langlaufsport aus dem Sumpf herausgezogen. Es sind die Finnen aufgeflogen, die Russinnen, der Mühlegg.

Und plötzlich gibt es jede Menge deutscher Spitzenlangläufer.

Das will ich nicht bewerten. Aber ich habe habe jetzt das Gefühl: Wenn ich Rennen gewinnen kann, dann gehe ich davon aus, dass die anderen auch alle sauber sind. Ich habe alles, was ich erreicht habe, auf sauberem Weg geschafft. Da bin ich schon stolz drauf.

Die neue Tour de Ski ist da eher ein unglücklicher Name.

Man wird schnell sehen, dass das mit dem Radsport wenig gemeinsam hat. Es ist eine eigene Veranstaltung. Du musst von Ort zu Ort mit dem Bus reisen. Du hast die Sprints, du hast den Massenstart. Du hast Einzelstartrennen. Jeder Lauf ist voll am Limit. Es wird einfach alles von den Läufern abverlangt. Es ist eine neue Herausforderung. Keiner weiß, was passieren wird. Das ist doch auch wieder etwas Spannendes.

Und nicht unwichtig, wenn Sie Ihren Titel als Weltcupsieger verteidigen wollen.

Gut, das Ganze steht und fällt mit der Tour de Ski. Das ist das erste große Ziel für mich in dieser Saison. Dort gibt es die vierfache Punktzahl.

Wieder so eine Neuerung.

Ja, die Tour findet zu einer Zeit statt, zwischen Weihnachten und Heiligdreikönig, in der der Wintersport zu Hause ist, da kann man durchaus so ein Event setzen.

Und all diese Entwicklungen helfen Ihnen auf dem Weg zum Langlaufmillionär.

Es stimmt zwar, dass ich ein paar neue Verträge unterschrieben habe. Aber es wird eben immer mehr geschrieben, als dann ist. Ich habe mich damit eigentlich nicht näher befasst.

Sondern?

Für mich ist das Wichtigste, dass mir der Sport Spaß macht, dass ich mich beim Langlaufen ausleben kann. Das Glücksgefühl, wenn man auf dem Podest steht oder als Erster über die Ziellinie fährt. Das sind Momente, das sind Emotionen, die da freigesetzt werden, von denen du dein ganzes Leben lang zehrst.

So wie Ihr Lauf zur olympischen Bronzemedaille über 15 Kilometer klassisch.

Im Sommer, als ich ein bisschen Zeit hatte, habe ich mir das alles einmal in Ruhe angeschaut. Die Weltcupsiege und auch die Olympiarennen. Im Winter kriegst du das gar nicht so mit, weil du bist einfach nur im Stress, unterwegs von Rennen zu Rennen. Und wenn du das dann im Sommer alles anschauen kannst, läuft es dir schon noch einmal kalt den Rücken runter. Und du denkst: Wow, das hast du schon stark gemacht.

Die Entscheidung für den nordischen Skisport hat sich also ausgezahlt?

Wintersport ist hier heimisch in Traunstein, Ruhpolding. Direkt vor meinem Elternhaus ist die Loipe vorbeigegangen. Da habe ich eigentlich meine ersten Schritte gemacht. Wie jedes andere Kind auch habe ich eigentlich alle Sportarten einmal mitgemacht, Alpin-Ski, Fußball, Tennis. Und dann bin ich in das Ganze hineingewachsen. Dann bist halt im Schülerkader. Auf dem Skigymnasium Berchtesgaden habe ich mein Abitur gemacht. Und dann kommst du irgendwann mal in die Nationalmannschaft. Mei, es war ein harter, steiniger Weg.

Sie hätten sich auch für die spaßigeren Wintersportarten entscheiden können, Alpin-Ski oder Snowboard.

Ich bin aber einer, der immer etwas machen will. Sport ist für mich einfach das Leben. Langlaufen ist da natürlich eine Sportart, in der du dich richtig ausleben kannst.

Und musst.

Nein. Langlaufen, das ist für mich so ein Gefühl von Freiheit. Du gehst raus. Du vergisst alles drum rum. Du kannst dich bewegen, du hast kein Zeitgefühl. Du musst nicht zu einem bestimmten Zeitpunkt zurück sein. Es ist ein Gefühl absoluter Freiheit. Außerdem hat es etwas von Lifestyle. Ich kann es genießen, obwohl es sehr, sehr harte Arbeit ist.

Der Sport gibt Ihnen also etwas zurück?

Auf jeden Fall. Ich bin einer, der sich gerne schindet. Du musst schon ein bisschen verrückt sein, wenn du einen Ausdauersport machst. Das ist schon hart.

Jetzt stehen Sie wieder auf dem Prüfstand.

Es geht für jeden wieder bei null los. Ob das Ganze wiederholbar ist, wird man sehen. Das waren einfach außergewöhnliche Erfolge. Das Wichtigste ist, dass ich hinterher sagen kann, ich habe alles gegeben. Wenn es reicht, war es super. Und wenn nicht, dann ist es halt so, dann kann ich es auch nicht ändern. Unter Druck setze ich mich da nicht.

Um all das zu erreichen, sind Sie als Oberbayer sogar nach Oberhof gegangen.

Ich habe mich da lediglich einer Trainingsgruppe angeschlossen. Wir trainieren nach dem Trainingsplan von Cuno Schreyl. Im ganzen Jahr bin ich vielleicht fünf Wochen in Oberhof. Einerseits habe ich den Vergleich mit der Gruppe. Andererseits brauche ich das Gefühl, alleine im Training zu sein. So wie ich aufgewachsen bin, ist es für mich wichtig, auf eigenen Beinen zu stehen. Da bin ich jetzt auch erwachsen, erfahren genug, dass ich das alleine umsetzen kann.

Beim Weltcup in Düsseldorf treffen Sie auch auf Evi Sachenbacher-Stehle, deren Blutwerte immer kurz vor Olympischen Spielen besonders auffällig waren.

Die näheren Einblicke habe ich da auch nicht. Man muss jetzt mal abwarten, was die FIS [der Internationale Skiverband; d. Red.] jetzt für eine Argumentation bringt. Davor will ich nichts sagen.

Und grundsätzlich?

Ich finde es einfach traurig, dass wegen eines solchen Wertes eine solche Diskussion entsteht.

Inwiefern?

Die Werte sind ja in den letzten Jahren zurückgeschraubt worden. Bei den Männern waren die Werte früher mal bei 18,5 [Gramm Hämoglobin pro Deziliter Blut; d. Red.].

Jetzt liegen sie bei 17,0.

Und da gibt es halt einige, die grenzwertig sind. Das ist ganz normal. Und wenn du dich dann länger in der Höhe aufhältst, dann kann dir das halt passieren, dass du drüberliegst.

Ist das bei Ihnen schon einmal der Fall gewesen?

Nein, bei mir nicht. Ich kann auch meine ganzen Daten offenlegen. Ich bin immer so zwischen 15,5 und 16. Ich habe da keine Probleme.

Können Sie sich in die Situation von Evi Sachenbacher-Stehle hineinversetzen?

Das ist einfach belastend für den Sportler. Der Sportler will seinen Beruf ausüben und wird für etwas bestraft, was er nie gemacht hat.

Der Verdacht bei Sachenbacher-Stehle wird immer mitlaufen.

Das ist ja das Schlimme. Ich würde für jeden Kollegen in der Mannschaft die Hand ins Feuer legen, dass wirklich alle sauber sind.

Jetzt steht erst einmal die Weltcup-Party in Düsseldorf an.

Für uns fällt die Party natürlich aus. Wir müssen uns da schon drauf konzentrieren. Ich will mich da so teuer wie möglich verkaufen. Im Einzelsprint wird man sehen, ob Punkte drin sind. Im Teamsprint haben wir uns bis jetzt noch jedes Jahr gut präsentiert. Und da wollen wir natürlich vorne mitlaufen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen