: Auge um Auge
Das Kriegsfoto als Propagandawaffe kehrt zurück. Diesmal sind es die Soldaten selbst, die sich inszenieren
Der Kopf des Mannes ist zur Seite gefallen und ruht leblos auf seiner rechten Schulter. Er lehnt an einer grünen Wand, die Gesichtszüge sind kaum noch zu erkennen. Klar ist nur: Der Mann ist tot. Es ist eines dieser zahlreichen Bilder, die im Internet auf Blogseiten diverser Soldaten oder Foto-Tauschbörsen für sexuell fehlgeleitete Perverslinge kursieren. Sie nennen sich „Trophy photos“ – Fotografien von Leichen, verstümmelten Opfern, wehrlosen Geknechteten oder eben wie jüngst von der Bild-Zeitung veröffentlicht: von Totenköpfen und Schwänzen.
Aufgenommen werden diese Bilder von denen, die das Elend des Krieges Tag für Tag miterleben, denen der Krieg jeden Funken Moral und Anstand zu stehlen scheint: den oft desorientierten Soldaten, denen ebendiese Fotos als Trophäe dienen – und zugleich als Zeugnis ihrer (Ohn-) Macht fungieren. Nach den Fernsehkriegen der 80er- und 90er- Jahre erlebt das Foto als Propagandawaffe und Berichterstattungsinstrument in der Post-September-2001-Ära eine Renaissance, die vor allem der „Blogisierung“ des Internets geschuldet ist.
Mittlerweile hat jeder Soldat theoretisch die Möglichkeit, seine Erlebnisse mit Digitalkamera oder per Handy bildlich festzuhalten und sie der Welt mitzuteilen. In den USA werden diese so genannten „milblogs“, die allerdings nicht nur als Plattform für abscheuliche Fotos, sondern vielmehr als Soldaten-Tagebücher fungieren, inzwischen auch von seriösen Medien als eine Art Nachrichtenagentur aus erster Hand benutzt.
Die Anonymität des Soldaten erfährt dadurch ihr Ende. Seine Funktion als quasi identitätsloser Befehlsempfänger besteht nur noch auf dem Papier oder in den Köpfen ewiggestriger Militärautoritäten. Stellte der britische Fotografie-Experte Val Williams noch 1994 in seinem kunsthistorischen Lehrbuch „Warworks“ fest, dass wir als Gesellschaft mehr über die Kriegsreporter in den Krisengebieten wissen als über die Soldaten, die die Gefechte austragen, führt die derzeitige Entwicklung diese These ad absurdum.
Der Auftritt des vermeidlich kleinen Mannes auf der großen Medienbühne konterkariert die Feststellungen Williams’, reindividualisiert er doch das Kriegsszenario an sich. Waren es in den beiden Weltkriegen und später in Vietnam oder Jugoslawien Star-Fotografen wie Robert Capa, Henri Cartier-Bresson, Eddie Adams oder James Nachtwey, die dem Krieg ein Gesicht verliehen, so sind es heute Amateurknipser, Hobbyfilmer, Bild-Leserreporter. DANIEL MÜLLER
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