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In Angststarre

Wieso überwachten die Blauhelme nicht die Militärkasernen der Stadt?

AUS KINSHASA DOMINIC JOHNSON

Es müsste ein Tag der Freude sein, aber es wird ein Tag der Angst. Am Sonntag wählen die 60 Millionen Einwohner der Demokratischen Republik Kongo zum ersten Mal in ihrer Geschichte frei einen Präsidenten. Aber das Land feiert nicht. Es ist erstarrt. Aus Angst vor Konfrontationen wurden sämtliche Großkundgebungen abgesagt. Menschenrechtler spekulieren über tausende Bewaffnete, die beide Kontrahenten in der Hauptstadt halten. Die Regierung hat sogar seit Donnerstag allen Schulkindern freigegeben, damit sie zu Hause bleiben können, bis das schreckliche Ereignis vorbei ist. Es gibt Berichte über immer neue Gewalt im Land: fünf Tote bei einer Meuterei in Kinshasas Zentralgefängnis als Reaktion auf den Massenausbruch von Häftlingen vor einigen Tagen; vier Tote bei Kämpfen der ehemaligen Rebellenhochburg Gbadolite; ein Toter in der Diamantenstadt Lodja. Und das ist nur die Bilanz eines Tages.

Das Problem ist nicht der Wahltag selbst. Wie schon beim ersten Wahlgang am 30. Juli dürften die 25 Millionen Wahlberechtigten friedlich und ordentlich zu den Urnen gehen. Das Problem beginnt am Tag danach. Beim ersten Wahlgang gab es 33 Kandidaten, die Auszählung war langwierig. Diesmal gibt es nur zwei, und wichtig ist nur, wer davon mehr als 50 Prozent hat. Das dürfte sich schnell herausstellen.

Kabila oder Bemba? Die beiden Kontrahenten machen es den Wählern nicht leicht. Sie sind unsichtbar. Beide Kandidaten verzichten komplett auf öffentliche Auftritte und äußern sich überhaupt nicht. Kabila schickt seine Ehefrau Olive auf Tournee. Bemba verlässt sich auf seinen Wahlkampfmanager Joseph Olenghankoy. Die Spitzenkandidaten selbst bleiben in Kinshasa, igeln sich ein, haben Angst, dass jemand sie umbringt, sobald sie die Nase aus ihren Bunkern stecken. Wie soll jemals einer von ihnen unter solchen Umständen das Land regieren?

Präsident Kabila sagte diese Woche seine Teilnahme an der geplanten TV-Debatte mit seinem Herausforderer Bemba ab. Der wiederum annullierte am Donnerstag seine einzige geplante Großkundgebung, die gestern Nachmittag in einem Sportstadion in Kinshasa hätte stattfinden sollen. „Er wird um halb elf zu Hause Delegierte der Zivilgesellschaft empfangen“, sagt Bembas Sprecher Moise Musangana auf die Frage, was der Spitzenkandidat eigentlich am letzten Wahlkampftag macht.

Bemba selbst gibt sich locker und gelöst, als er am Donnerstagnachmittag aus seiner Residenz am Kongo-Fluss auf den Rasen spaziert, wo noch das Wrack seines Hubschraubers steht, den Kabilas Präsidialgarde am 21. August in Brand schoss – aus Verärgerung über das kurz zuvor bekanntgegebene Ergebnis des ersten Wahlgangs. Dieser versagte Kabila die absolute Mehrheit und zwang ihn in die Stichwahl gegen Bemba. „Ich bin ein Demokrat“, erklärt der einstige Rebellenchef Bemba in einer seltenen Pressekonferenz. „Panzer und Truppen haben keinen Platz in einer Demokratie. Ich rufe die UN und EU-Truppe Eufor auf, ihrer Verantwortung nachzukommen, um diese Stadt und das Land zu sichern. Deswegen sind sie doch hier.“ Draußen schleichen unterdessen seine waffenklirrenden Soldaten mit grünen Berets durch das hohe Gras am Fluss, wie früher im Buschkrieg.

Vor einer Wiederholung der Ereignisse vom August, die offiziell 23 Tote forderten, hat ganz Kinshasa Angst. Ausländische Beobachter regen sich über die Untätigkeit der internationalen Gemeinschaft auf, hinter vorgehaltener Hand und anonym. Wieso weigerte sich die internationale Diplomatie, den Panzerangriff Kabilas auf Bemba klar zu verurteilen? Wieso konnte Kabila nach den Kämpfen vom August, als er offiziell längst über einen Rückzug seiner Truppen in Kinshasa verhandelte, ungehindert 40 weitere Panzer russischer Bauart aus der Ukraine von Kongos Atlantikhafen Matadi nach Kinshasa bringen – gegen das geltende UN-Waffenembargo? Wieso haben UN und EU Kinshasa zur „waffenfreien Stadt“ erklärt, während rund 1.000 Bemba-Soldaten, rund 5.000 Kabila-Soldaten, jede Menge schweres Gerät und eine unbekannte Zahl von Kämpfern in Zivil in der Acht-Millionen-Stadt stehen? Wieso überwacht niemand von den 2.500 UN-Soldaten und 1.600 EU-Truppen in der Stadt die großen Militärkasernen, wo Kabila seine Truppen zusammenzieht?

In ausgestorbenen Straßenzügen des Villenviertels Gombe im Zentrum Kinshasas sind die Frontlinien des Straßenkampfes von August noch deutlich zu sehen: Links ist Bemba-, rechts Kabila-Land, dazwischen Niemandsland. Hier und da steht ein UN-Panzer. Die beiden Warlords haben zum Abschluss des kongolesischen Friedensprozesses den Krieg in die Hauptstadt gebracht. Beide stießen über das Militär zur Politik. Keiner konnte den Rivalen ausschalten. Jetzt muss einer auf der Strecke bleiben.

Die beinahe täglichen Zusammenstöße zwischen Kabila- und Bemba-Anhängern in allen Landesteilen folgen einer einfachen Logik: In der Hochburg des einen darf der andere keinen Wahlkampf machen. Vor allem der Ostkongo, der am 30. Juli massiv für Kabila stimmte, ist für Bembas Wahlkämpfer nahezu verbotenes Terrain. In Teilen des Westens wiederum gibt es Angriffe auf Aktivisten von Kabilas lokalen Alliierten. Die Teilung des Landes zwischen Kabila-treuem Osten und Bemba-treuem Westen hat sich in diesem Wahlkampf verfestigt.

Bembas und Kabilas Residenzen in Kinshasa, erzählt ein kongolesischer TV-Journalist, sind so verschieden, dass man sich in verschiedenen Ländern wähnt. Die Soldaten tragen unterschiedliche Uniformen und sprechen unterschiedliche Sprachen. Bei Bemba, dem Herausforderer, ist die Stimmung eher entspannt, bei Kabila herrscht nervöse Bunkermentalität. Kabila hat bei dieser Wahl alles zu verlieren, Bemba hat alles zu gewinnen.

Wieso konnte Kabila ungehindert 40 russische Panzer nach Kinshasa bringen?

Dabei ist ein Sieg Kabilas so gut wie sicher. Beim ersten Wahlgang kam er schon auf knapp 45 Prozent, Bemba auf nur 20 Prozent. Kabila hat inzwischen wichtige Verbündete um sich geschart – den 80-jährigen Antoine Gizenga von der Vereinigten Lumumbistischen Partei (Palu), ein Mitstreiter von Kongos Befreiungsheld Patrice Lumumba aus den 60er-Jahren; sowie Nzanga Mobutu, einen Sohn des verstorbenen Diktators Mobutu, der Lumumba in den 60er-Jahren bezwang. Gizenga und Mobutu unter ein Dach zu bringen – das erfordert schon taktisches Geschick. „Kabila, der alle um sich schart“ steht zu Recht auf seinen Wahlplakaten.

Doch diese Bündnisse stehen auf wackligem Fundament. Brav rollen zwar vor dem Palu-Hauptquartier in Kinshasa Parteiaktivisten frische Kabila-Plakate aus und kleben sie auf die umliegenden Marktstände. Aber wenn ein Wahlkampfleiter am Telefon erfährt, wie er der Präsidentengattin bei ihren Auftritten helfen soll, klingt er deutlich genervt, und unter den alten Schwarzweißfotos von Gizenga mit Lumumba im Empfangsraum gesteht auch Parteisprecher Godé Mayobo, dass zwar die angeblich eine Million Palu-Mitglieder dem Kabila-Wahlaufruf folgen müssten, die anderen Wähler der Partei es aber nicht unbedingt tun. „Wenn so etwas wie im August wieder passiert, können wir Kabila nicht unterstützen“, stellt Mayobo dann klar. Die „Koalition“ mit Kabila – „kein Bündnis“, betont er – diene lediglich der Wahrung der nationalen Einheit und solle den Lumumba-Anhängern den Posten des Premierministers bringen.

Bemba hat aus all dem jedoch wenig Kapital schlagen können. Sein Wahlbündnis Union für die Nation (UN) fiel längst nicht so breit aus wie zunächst erhofft und wird selbst aus den eigenen Reihen kritisiert, weil es zu sehr Bembas Person in den Mittelpunkt stelle. „Die UN wurde gegründet, um Bembas Wahlsieg zu erreichen“, erklärt Alafuele Kalala Mbuyi, einer der zu Bemba gestoßenen Präsidentschaftskandidaten aus dem ersten Wahlgang. „Sie ist keine Koalition auf Dauer.“ Er fürchtet massive Wahlenthaltung am Sonntag. „Wir haben es nicht mit Akteuren guten Willens zu tun“, analysiert Rémy Massamba, Generalsekretär von Kongos größter Partei Union für Demokratie und Sozialen Fortschritt (UDPS), die den Wahlprozess boykottiert. „Was wir seit August hören, ist kein friedlicher Diskurs, sondern einer des Hasses. Der Wahlkampf ist nicht ernstzunehmen.“

Kinshasa war bisher am ruhigsten. Dort herrscht ein Gleichgewicht des Schreckens. Doch seit einigen Tagen bröckelt die Ruhe auch in der Metropole. Wozu die hochgerüstete Kabila-Staatsmacht fähig ist, wissen Kinshasas Einwohner; jetzt fragen sie sich aber auch, was die Gegenseite ausheckt. Als plötzlich in einem Autostau auf einer stadteinwärts führenden Straße ein Trupp schwitzender Jugendlicher auftaucht, die mit dem eigenen Schweiß Bemba-Zettel auf die Stirn geklebt haben und brüllend mit hassverzerrten Gesichtern herumrennen und auf Autowände schlagen, erstarrt selbst die Menge vor den vielen kleinen hölzernen Verkaufsständen im Schlamm, die sonst Bemba-Konvois zujubelt. Die Verkehrspolizisten in gelben Helmen, die eben noch einen Busfahrer belästigten, springen in den Bus hinein und treiben den Fahrer panisch zur Weiterfahrt an. Der Mob zieht vorbei, ziellos und laut. Wehe, er findet eines Tages sein Ziel.

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