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Archiv-Artikel

„Ich kann nur mahnen und bitten“

Almuth Berger

„Ich bin Ministerpräsident de Maizière damals sehr auf die Nerven gegangen, dass eine Regelung für die Juden aus der Sowjetunion gefunden wird. Er hat später gesagt: ‚Sie waren eine schreckliche Nervensäge.‘ Aber es war einfach nötig“

Almuth Berger ist seit 15 Jahren Ausländerbeauftragte des Landes Brandenburg. Die studierte Theologin arbeitete zu DDR-Zeiten als Pfarrerin in Magdeburg und Berlin. 1989 gründete sie unter anderem mit Konrad Weiß die Bürgerbewegung „Demokratie jetzt“. Nach der Wende wurde sie Ausländerbeauftragte der DDR, später für Brandenburg zuständig. Dabei hat sie sich viel Respekt erworben, eckte aber auch immer wieder an. Besonders die CDU warf ihr Kompetenzüberschreitungen vor. Mit der verstorbenen Sozialministerin Regine Hildebrandt (SPD) stritt sie sich 1994 über die Zahlung von Sachleistungen an Asylbewerber, die sie als diskriminierend bezeichnete. Morgen geht die 63-Jährige in den Ruhestand.

INTERVIEW JAN STERNBERG

taz: Frau Berger, sie waren 15 Jahre lang Ausländerbeauftragte in Brandenburg. Barbara John hatte den Job in Berlin sogar 22 Jahre. Haben Sie sich schon Tipps von ihr geholt für die Zeit nach der Pensionierung?

Almuth Berger: Nein, ich hatte keine Gelegenheit dazu. Ich werde sicher ein bisschen anders als sie damit umgehen, weil ich eine ziemlich große Familie habe, mit drei Kindern und sieben Enkelkindern. Der jüngste Enkel ist 16 Monate alt, der älteste ist 16 Jahre. Die sollen jetzt einen deutlich größeren Platz in meinem Terminkalender haben, aber auch Freunde.

Aber es werden sicherlich viele Initiativen um Ihre Mitarbeit beten.

Das fängt jetzt an. Ich habe mir in den meisten Fällen noch Bedenkzeit ausgebeten. Für mich ist wichtig, dass ich die jetzt folgende Zeit nicht von vornherein völlig verplane und wieder fremdbestimmt lebe.

Uwe-Karsten Heye, der Vorsitzende des Vereins „Gesicht zeigen!“, hatte Teile Brandenburgs als „No-go-Areas“ für Ausländer bezeichnet. Haben Sie mit ihm darüber geredet?

Das ist auf einer anderen Ebene geschehen. Der Ministerpräsident hat mit ihm gesprochen. Ich habe natürlich öfter über sein Zitat gesprochen, auch mit Migranten, mit Leuten vom Afrika-Rat.

Sie selbst haben vor sieben Jahren gesagt: „Ausländer können in Brandenburg nur ein eingeschränktes Leben führen.“ Doch den Begriff „No-go-Areas“ lehnen Sie ab.

An der Äußerung von Uwe-Karsten Heye ist natürlich was Wahres dran, doch ich finde sie in dieser Überspitzung nicht gerechtfertigt. Ich wehre mich dagegen, ganze Orte und Landschaften so hinzustellen, als ob es dort nur rechtsextreme Schläger gäbe. Das wird der Realität nicht gerecht, so verprelle ich eher die Menschen, die da leben. Gerade diejenigen, die sich engagieren, werden abgewertet und nicht ernst genommen.

Gilt die Aussage, dass Migranten in Brandenburg nur eingeschränkt leben können, heute noch?

Ich kann diesen Satz nicht zurücknehmen. Es ist leider nach wie vor so, dass Menschen in Brandenburg zu spüren bekommen, dass sie anders sind, dass sie eine andere Hautfarbe haben und dass sie deswegen auch Gefahr laufen, angegriffen, beschimpft, beleidigt, diskriminiert zu werden. Es gibt eine ganze Reihe, die sagen: Ab einer bestimmten Uhrzeit gehe ich nicht mehr auf die Straße oder nicht alleine. Oder Studenten sagen: Auf dem Campus bewege ich mich gerne, aber in der Stadt ist es schwierig. Das ist nicht grundsätzlich anders geworden. Was sich geändert hat, ist, dass in der Bevölkerung eine größere Sensibilität dafür da ist, dass es viel mehr Gruppen, Initiativen, runde Tische, Plattformen gibt, die das nicht hinnehmen.

Sie haben kürzlich einen Bericht vorgelegt. Daraus geht hervor, dass bis zu 30 Prozent der Brandenburger ausländerfeindlichen Aussagen zustimmen. Schüler glauben, dass 25 oder gar 50 Prozent Ausländer im Land leben, real sind es nur 2 Prozent. Dieses Phänomen ist alles andere als neu. Hätten Sie 1991 gedacht, dass sich das so hartnäckig hält?

Um Einstellungen von Menschen zu ändern, braucht man eher Jahrzehnte als Jahre. Dazu kommt, dass die äußeren Verhältnisse es nicht erleichtern, eine andere Einstellung gegenüber Fremden zu propagieren. Die sehr hohe Arbeitslosigkeit, die Produktionsverlagerungen. Die Globalisierung fordert Internationalität, sie wird aber oft eher als Nachteil erlebt. Das macht es nicht gerade leichter, Empathie für Menschen anderer Herkunft zu empfinden.

Viele rechtsextreme Schläger haben einen Job oder eine Lehrstelle.

Die direkte Beziehung zwischen Arbeitslosigkeit und Rechtsextremismus gibt es natürlich nicht, das habe ich immer gesagt. Aber Unsicherheit, Angst vor Existenzverlust hängen schon damit zusammen, dass Menschen nach klaren, einfachen Erklärungen zu suchen. Solche scheinbar einfachen Erklärungen liefern rechtsextreme Gruppen.

Gab es Situationen, wo sie sich geschämt haben, Ausländerbeauftragte des Landes Brandenburg zu sein?

So fühle ich mich immer in den Situationen, wenn ich meine eigene Hilflosigkeit erlebe, wenn ich nicht verhindern kann, dass Menschen zu Schaden kommen. Noch schlimmer finde ich die Situationen, wenn ich merke, dass ich Dinge nicht durchsetzen kann. Wenn ich sehe, dass ein Asylbewerberheim mitten im Wald dringend aufgelöst werden müsste, aber ich keine Befugnis habe, irgendetwas anzuweisen. Ich kann da nur mahnen und bitten. Wenn Flüchtlinge Forderungen – berechtigte Forderungen – vorbringen und ich sagen muss: Ich kann das weitergeben, aber ich kann selber nichts tun. Da fühlt man sich schon ziemlich bescheuert.

Sie waren nach fremdenfeindlichen Morden und Übergriffen sehr oft vor Ort. Nach solchen Besuchen haben Sie sich oft sehr resigniert geäußert. Woher haben Sie die Kraft genommen, dort das Land zu repräsentieren?

Für mich war wichtig, dass ich einen Kreis von Menschen hatte, mit denen ich die Frustration, aber auch nächste Schritte besprechen konnte. Die dir abnehmen, dass du dich ehrlich bemüht hast. Oft haben auch die Migranten gesagt: Das ist für uns viel wert, dass jemand zumindest versucht, uns zu helfen.

Sie wohnen im Berliner Stadtteil Schmöckwitz direkt am Wasser. Springen Sie nach solchen Frusterlebnissen in den Fluss oder fahren Boot?

Schwimmen gehe ich jeden Morgen, das mache ich also schon präventiv. Meine Tochter hat mit Freunden ein Segelboot bei unserem Grundstück liegen. Segeln will ich jetzt noch lernen.

Mit Migranten haben Sie schon in der DDR-Kirchenarbeit zu tun gehabt – auch mit Rassismus?

Wir haben in Berlin damals eingeladen zur Begegnung zwischen Aus- und Inländern. Das hieß Cabaña, kleine Hütte – daraus wurde eine landesweite Cabaña-Bewegung. Ich habe versucht, ausländerfeindliche Erfahrungen, die die Leute gemacht haben, zu thematisieren, und habe mit Verantwortlichen im Stadtbezirk Friedrichshain Gespräche geführt. Bei denen stieß das auf völliges Unverständnis: „Bei uns gibt es so etwas gar nicht, bei uns gibt es Solidarität.“ Gerhard Schöne hat damals ein Lied gemacht, „Kaltes Klima“, über einen Mosambikaner, der in der DDR ganz viel Kälte, Ablehnung und Feindseligkeit erfährt. Wir haben versucht, etwas dagegenzusetzen. Wir sind im Sommer weggefahren in eine Hütte, haben zusammen getanzt und gekocht. Ich habe miterlebt, dass ein Mosambikaner, weil er sich in seinem Betrieb gegen rassistische Behandlung gewehrt hat, ausgewiesen wurde. Wir konnten nicht verhindern, dass er in Handschellen zum Flughafen Schönefeld gebracht wurde. Solche Erfahrungen haben mich sehr geprägt.

Sie waren 1989/90 in der Bürgerrechtsbewegung aktiv. Es ging damals viel um Freiheit, wenig um Fremde.

Die Bürgerrechtsbewegung hat sich nicht in erster Linie dafür interessiert, aber akzeptiert, dass ich diese Arbeit mache. „Demokratie Jetzt“ wurde in meiner Gemeinde gegründet, von dort gab es viel Unterstützung, auch von den Mitgliedern der späteren Partei „Bündnis 90/Die Grünen“. Vertreterinnen und Vertreter von Bürgerrechtsbewegungen, gerade auch von „Demokratie Jetzt“, haben maßgeblich mit die Erklärung der Volkskammer initiiert, in der unter anderem stand: Verfolgten Juden gewähren wir Asyl. Das war natürlich ein gewichtiger Satz. Ich bin Ministerpräsident de Maiziere sehr auf die Nerven gegangen, dass eine Regelung für die jüdischen Flüchtlinge aus der Sowjetunion gefunden wird. Er hat später einmal gesagt: Sie waren eine schreckliche Nervensäge. Aber es war einfach nötig.

Wer hat Sie danach noch Nervensäge genannt?

Ministerpräsident Matthias Platzeck hat bei meiner Verabschiedung das Wort „freundliche Penetranz“ benutzt.

Nach der Vereinigung mussten die ostdeutschen Bundesländer genauso wie die Westländer Flüchtlinge nach einem entsprechenden Schlüssel aufnehmen. Als Ihnen das klar wurde …

… habe ich erst einmal sehr protestiert. Es war eine totale Überforderung. Das wollte damals keiner hören. Wir hatten weder die Unterbringungsmöglichkeiten noch die ausgebildeten Leute noch die Wohlfahrtsverbände. Es gab buchstäblich nichts. Da sind dann natürlich oft Lösungen gewählt worden, dass man Asylbewerber in ehemaligen Ferienobjekten mitten im Wald unterbrachte.

Das hat das Bild des Ausländers für die Brandenburger geprägt.

Das ist richtig.

Sie haben Ihre Arbeit mit einigem Sarkasmus als „Feigenblattfunktion“ bezeichnet. Für eine rassistische Gesellschaft oder für eine herzlose Politik?

Wenn man jemanden benennt, der für bestimmte Probleme zuständig sein soll, besteht immer die Gefahr, dass sich die anderen nicht mehr darum kümmern. Das hat umso stärker einen Feigenblattcharakter, je weniger Kompetenzen derjenige hat. Ich konnte mich immer nur einsetzen, bestimmte Sachen zu klären. Ich habe mich stets gegen die Feigenblattrolle gewehrt, konnte sie aber nicht immer verhindern.

Was wünschen Sie Ihrer Nachfolgerin oder Ihrem Nachfolger, was die Bedeutung des Amtes angeht?

Der Name sollte in „Beauftragte/r für Migration und Integration“ geändert werden. Das ist einfach dran. Es sollte weiter als ein politisches Amt verstanden werden. Eine Anbindung am Landtag oder der Staatskanzlei könnte das unterstreichen. Eine solche Veränderung der Anbindung ist jetzt gescheitert, aber das kann sich ja ändern.

Historisch ist Brandenburg ja eigentlich eine Erfolgsgeschichte der Toleranz und Integration …

… das war eine verordnete Toleranz. Sie war deswegen nicht schlecht. Zuwanderung war im 17. und 18. Jahrhundert die einzige Möglichkeit für das Land, das enorm viele Einwohner verloren hatte. Diese Notwendigkeit haben die Fürsten und Könige offensiv vertreten. Die Bevölkerung hat das auch damals nicht ohne weiteres mitgemacht. Nun wollen wir ja keine Verordnungen eines Obrigkeitsstaates. Doch was man vergleichen kann, ist die Situation, dass man ohne Zuwanderung gar nicht existieren kann. Auch für Brandenburg heute wird keine Zukunft möglich sein ohne ein Zusammenleben mit Fremden, ohne Akzeptanz von und Umgang mit Verschiedenheit. Und dass muss die Regierung auch immer wieder deutlich sagen.