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BARBARA BOLLWAHN LEUCHTEN DER MENSCHHEITBedienungsanleitung für Kinder

Vielbeschworen ist sie, die Mauer in den Köpfen, auch im Jahr 25 des Mauerfalls. Unterschiedliche Biografien haben dazu geführt, dass Ost- und Westdeutsche sich oft nicht verstehen. Um zu begreifen, was es bedeutet, wenn von heute auf morgen das bisherige Leben angeblich keinen Wert mehr hat, braucht es Interesse, Neugierde und Einfühlungsvermögen. Denn all die Umbrüche haben viel mit Gefühlen zu tun.

„Der Osten ist ein Gefühl“ (dtv) lautet der Titel des Buches der 1968 im Westen geborenen Anja Goerz. Die Autorin, die bei radioeins vom RBB arbeitet, der einzigen ARD-Station, die aus der Zusammenlegung einer ost- und westdeutschen Senderkette entstanden ist, streut sich im Vorwort Asche aufs Haupt: „Ich jedenfalls habe viel zu lange nicht darüber nachgedacht, wie es denen geht, die heute in der BRD leben und arbeiten und dennoch den Osten im Kopf und im Herzen bewahren.“

Goerz hat mit 30 Männern und Frauen gesprochen, Taxifahrern, Hebammen, Polizisten und einigen bekannteren Personen. „Ich denke heute, dass wir aus dem Vorteil, Verschiedenes zu wissen, noch mehr Kapital hätten schlagen können“, sagt die Journalistin Regine Sylvester. Der ehemalige Direktor der Berliner Charité, der nach 25 Jahren als Hochschullehrer nach der Wende eine Probevorlesung halten musste, sagt: „Anfangs konnten sie keinen Westberliner in die Charité schicken, weil die Meinung vorherrschte: Die kann gar nicht gut sein. Heute will jeder in die Charité.“

Wunderbar erfrischend und pragmatisch sind Leute wie die erste freie Hebamme in Potsdam, die das Westkonzept des Berufes befremdlich fand: „Dieses esoterische Om, viel Om. Om war mir nüscht.“ Und: „Die Wessis brauchen fast schon eine Bedienungsanleitung für ihre Kinder.“ Das Buch liefert gerade Westlern, die sich bisher nicht für die Umbrüche im Leben ihrer Brüder und Schwestern interessiert haben, lesenswerte und nachdenkliche Einblicke.

■ Die Autorin ist Schriftstellerin und schreibt für die taz

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