: „Spüre den Weihnachtsmann in dir“
JOBS Weihnachtsmann kann nicht jeder werden. Und wenn, dann nur mit anständigem Kostüm: Weihnachtsmann-Agenturen haben hohe Standards, festgeschrieben im „Weihnachtsmann-Ehrencodex“
VON PETRA SCHELLEN
Mitten im Sommer ist in Kopenhagen Weihnachten. Genauer gesagt: Im dortigen Freizeitpark Bakken. Da ziehen nämlich meist im Juli (schließlich heißt Weihnachten auf Dänisch „Jul“) Hunderte Weihnachtsmänner in voller Montur durch die Innenstadt, um sich zu dem zu versammeln, was das Weihnachtsmann-Universum zusammenhält: zum internationalen Weihnachtsmann-Weltkongress. Weihnachtsmänner aus etlichen, nicht nur europäischen Ländern kommen da zusammen, um sich über Bräuche, Requisiten und Geschenk-Qualitätsstandards auszutauschen – eine Art internationaler Supervision, sozusagen.
Und Weihnachtsmann-Varianten gibt es viele: Nicht nur, den deutschen, der im langen Mantel und in Begleitung eines Pferdeschlittens daher kommt. Nein, Anspruch auf weihnachtsmännische Authentizität erhebt auch sein amerikanischer Kollege, Santa Claus, der im Zweiteiler und mit zwölf gepflegten Rentieren erscheint. Zudem ist über den Wohnort des Weihnachtsmannes nie letztgültige Klarheit erzielt worden: Die Dänen wähnen ihn im (dänischen) Grönland, die Schweden in Dalarna, die Finnen wahlweise in Korvatunturi oder Rovaniemi. Die Niederländer wiederum halten diesbezüglich alljährlich nach einem Dampfschiff aus Spanien Ausschau, das den rotweiß Gekleideten an Bord haben soll.
Natürlich kann es für die Kinder schon verwirrend sein, „den“ eigentlich ja einzigartigen Weihnachtsmann bei der Kopenhagener Demo in Hundertschaften anrücken zu sehen, aber wer weiß, vielleicht sieht man das in Dänemark ja legerer.
In Hamburg jedenfalls sind bei den Weihnachtsmann-Seminaren des „Weihnachtsbüros“, einer Agentur für Weihnachtsmänner, keine Kinder zugelassen. Da bleiben die Weißbärte unter sich, wenn sie einander von bizarren Situationen erzählen oder über den Weihnachtsmann-Ehrencodex sprechen, den „Weihnachtsbüro“-Geschäftsführerin Petra Henkert ersann. „Ich bürge schließlich mit meinem Namen für Qualität“, sagt sie. „Da kann ich diese Dinge nicht einfach irgendwie laufen lassen.“ Will sagen: Kostüm, Auftreten und Requisiten der Weihnachtsmänner, die sie vermittelt, sind festgelegt, und „ein Kostüm aus dem Baumarkt mit Wattebart oder Maske ist tabu“. Schließlich müsse der Auftritt glaubwürdig sein. „Der Weihnachtsmann darf nichts tun oder sagen, das den Glauben der Kinder an den Weihnachtsmann erschüttert“, findet Henkert.
Deshalb macht es eben auch viel Arbeit, die 20 Minuten vorzubereiten, die die Weihnachtsmänner auf ihren Heiligabend-Touren pro Familie einkalkulieren: Namen und Alter der Kinder, Namen von Kita-Betreuerinnen, auch von Onkel und Tante, die am Heiligabend auch da sind, müssen abgefragt werden. Auch ist zu klären, wo die Familie den Jutesack mit den Geschenken deponiert hat, den der Weihnachtsmann ja dann mitbringt – und wie er überhaupt ins Haus kommt. Denn der Weihnachtsmann sei nicht nur allwissend, sagt Henkert. „Sondern der klingelt natürlich auch nicht.“
Man sieht: Es ist ein anspruchsvoller Job, der da am Heiligabend zu vergeben ist. Aber das sei, vermutet Henkert, nicht der einzige Grund für den deutschlandweiten Weihnachtsmann-Notstand: „Es ist unglaublich schwer, Weihnachtsmänner zu finden“, sagt sie. „Die Nachfrage übersteigt das Angebot bei weitem.“
Für Hamburg etwa hat sie für den diesjährigen Heiligabend bislang 25 Weihnachtsmänner akquiriert – ein Tropfen auf den heißen Stein. Aber viele haben am 24. Dezember eben anderes vor. Genau genommen: die meisten. Wer bleibt da überhaupt?
„Da sind einerseits Schüler und Studenten, die manchmal auch in Theatergruppen spielen und am Schauspielern Spaß haben“, sagt Henkert. Und dann gebe es noch die alleinstehenden Männer, die der Einsamkeit entfliehen wollten: „Zum einen die bis 30-Jährigen, die noch keine Familie haben“, sagt Henkert. Andererseits die ab 40-Jährigen, denen der Familienheiligabend auf dem Trennungs- oder gar Scheidungswege abhanden kam. „Die entschließen sich dann manchmal, anderen Kindern eine Freude zu machen, anstatt allein zuhause zu sitzen“, sagt Henkert.
Natürlich müssten die Weihnachtsmann-Kandidaten kommunikativ und kinderlieb sein, sich möglichst auch nicht vorm Familienhund fürchten, der ihren roten Mantel anbellt.
Am liebsten aber sind ihr diejenigen, „die einfach irgendwann im Leben spüren, dass sie Weihnachtsmann sind. Die sich dazu berufen fühlen“, sagt Henkert. Sie lacht, aber sie meint es auch ernst. „Entdecke den Weihnachtsmann in dir“, heißt einer der Slogans, mit denen sie um Weihnachtsmann-Darsteller wirbt. Und abgesehen davon, dass dies ein guter Job für Karnevalisten wäre, bleibt eine klitzekleine, winzige Ungerechtigkeit: dass diese Tätigkeit ausschließlich der männlichen Hälfte der Menschheit vorbehalten ist.
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