: Die Spinner von der Holzwollespinnerei
HAUSBESUCH Autark leben und den Braunkohleirrsin stoppen: bei Ursula, Fred und Adrian in der Lausitz
VON MICHAEL BARTSCH (TEXT) UND SVEN DÖRING (FOTOS)
Neustadt an der Spree, bei Friederike, genannt Fred, und Adrian, beide 28, seit Februar mit Tochter Helene, dazu Ursula, genannt Mulli, mit dem einjährigen Anton. Und die eitle Katze Toni. Seit zwei Jahren leben sie in einer alten Mühle und Holzwollefabrik nahe des Tagebaus Nochten in der Lausitz.
Draußen: Natürliche Senke im Wald, durch die ein Bach fließt, hochwassersicher. Ehemalige Fabrik ruinös, Wohngebäude im Ausbau. Sehenswert: das Trockenklo, errichtet aus allem, was auf dem Grundstück zu finden war. Der Drainagegraben zur Grundwasserregulierung für den Garten und gegen die Wühlmäuse. Das Gewächshaus aus alten Scheiben mit Schafwolldämmung. Im altem Fabrikgebäude ein provisorischer Tauschladen, vor allem aber eine solide Werkstatt. Ein Dutzend alter Fahrräder wartet auf Recycling.
Drin: Ebenerdig geht es über einen Flur in die Stube. Domizil für Fred und Adrian auf selbst gebauter Schlafstätte, Helenes Schlafkörbchen hängt an der Decke. Grüner Kachelofen, Schrank und Schränkchen aus dem frühen 20. Jahrhundert. Über der Palettendecke liegt eine dünne Schicht Lehmputz, darauf Schafwolle. Richtig warm wird’s wohl erst nach Vollendung der Außenhülle, die Bewohner sind dankbar für den milden Winter. Unter den Dielen Lattung mit altem Laborschlauch als Fußbodenheizung, darunter lehmverputzte Weichziegelschicht und die selbst erfundene Glasflaschendämmung – 3.500 leere Flaschen zur Isolation bei Kneipiers besorgt. In der Küche daneben, aha, immerhin ein Kühlschrank. Ein Drucker und zahlreiche Kabel verraten, dass die Küche auch Büro ist. Dahinter das Zimmer von Ursula und Anton. Durchgang zum Lagerraum, zugleich Badestube mit Wanne auf Holzgestell, mit Holz beheizbarer Badeofen, langes Abzugsrohr. High Tech im Kontrast: Waschmaschine und Geschirrspülmaschine.
Wer macht was? Mulli sorgt fürs Überleben – Küche, Hauswirtschaft, Vorratshaltung. Die meisten Lebensmittel kommen aus dem Garten. Sie kümmert sich auch um den Organisationskram des Vereins „Eine Spinnerei vom nachhaltigen Leben e. V.“, der Schulungs- und Erlebniskurse anbietet. Fred wird von Helene nur wenig in Anspruch genommen. Sonst: Chefgärtnerin und WWOOF-Beauftragte (World- Wide Opportunities on Organic Farms). Leute können gegen Kost und Logis auf ökologisch wirtschaftenden Höfen arbeiten („Von Frühjahr bis Herbst haben wir Besuch aus aller Welt“). Außerdem: Pressesprecherin („Fressebrecherin“) im „Bündnis Strukturwandel jetzt“ gegen den Tagebaufraß in der Lausitz. Adrian: Klassische Männerarbeit, also Bau, Technik und Erfindungen, arbeitet gegen richtiges Geld nebenbei in einer Schule und vermittelt dort Handwerk und Strategiespiele.
Wer denkt was? Politisch engagiert haben sie sich, seit sie sich in Potsdam kennenlernten, etwa mit einer Unterschriftenaktion gegen den Textildiscounter Kik, der in den Brand einer Textilfabrik in Bangladesch verwickelt war. Fred und Adrian sind an sich keine Widerständler, gerieten durch die Berufsanfängervermittlung in die Lausitz und bald mit Vattenfall in Konflikt, weil der Stromkonzern den Braunkohlentagebau Nochten erweitern wollte. Beide sind die führenden Köpfe des Bündnisses gegen diese Erweiterung und geben die Vereinszeitung Nochten heute heraus. Sie leben, wie sie denken: einfach, nachhaltig, ohne überflüssigen Besitz. Haben 12.500 Euro für das Grundstück zusammengekratzt, die Krankenversicherung ist der größte Ausgabeposten.
Friederike: Hat auf Lehramt Geschichte und Biologie studiert, ein knappes Jahr in der Lausitz unterrichtet, ist vor dem Referendariat ausgestiegen. Es gibt hier kaum alternative Schulen.
Ursula: Hat Sozialarbeit an der Fachhochschule Potsdam studiert, arbeitete mit Kindern aus schwierigen Verhältnissen („Mein Fernziel: einmal Pflegekinder aufnehmen“).
Adrian: Veterinärmedizinisches Studium, „aber dieser Beruf ist sehr pharmazielastig, keine Lust auf Großbetriebe, in denen Tiere nur als Kilo Lebendmasse gelten“. Fünfeinhalb Jahre Studium in Berlin – und kurz vor der letzten Prüfung abgebrochen.
Das erste Date: Fred und Adrian kennen sich seit der 11. Klasse. Adrian: „Sie war vorne Nervensäge, ich saß hinten und pennte.“ Sie haben lange darüber diskutiert, ob sie eigene oder Pflegekinder haben wollen. Adrian hat selbst mehrere Brüder und Pflegebrüder.
Alltag: Bis 2013 im Sommer vor allem gebaut und im Garten. Im Winter Planungszeit, Büro. Seit einem Jahr ist die Tagebauaktion dazugekommen, legt sich wie ein Schleier über alles. Ihr Ziel: ein freier Tag pro Woche. Das gelingt nicht immer.
Wie finden Sie Merkel? Adrian: „Mutti Merkel ist kein Mann, also müssen sich Männer nicht mit ihr messen. Frauen auch nicht, weil sie nicht hübsch ist. Hauptsache, sie ist Mutti. Futtern wie bei Muttern, da fühlen sich alle wohl.“
Wann sind Sie glücklich? Mulli und Fred: Wenn sie draußen arbeiten. Adrian: „Wenn ich mache, was ich für sinnvoll halte.“ Alle drei wären noch glücklicher, wenn sie auf ihrem Grundstück nicht nur geduldet würden, sondern offizielles Wohnrecht hätten. Die Gemeinde Spreetal hat den Hauptwohnsitz akzeptiert. Aber für Baugenehmigungen ist der Kreis zuständig. Einige Braunkohlefreunde sähen es gern, wenn sie wieder verschwänden.
■ Nächstes Mal treffen wir Karl-Heinrich Zahn und Hanspeter Bethke in ihrem Pfarrgarten in Saxdorf. Sie wollen auch besucht werden? Mailen Sie an: hausbbesuch@taz.de
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