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Das traurige Tor zu Asien

OSTANATOLIEN Kars liegt an der Grenze zu Armenien, nahe der Ruinenstadt Ani. Eine Reise in die anatolische Provinz mit Orhan Pamuk im Handgepäck

Reisetipps zu Ostanatolien

■  Anreise: Von Deutschland über Istanbul nach Erzurum oder Van, Hin- und Rückflug mit Turkish Airlines ab 300 Euro, www.turkishairlines.com

 Unterkunft: Kar’s Otel, DZ mit Frühstück 139 Euro, www.karsotel.com

 Veranstalter: Studiosus hat eine 15-tägige Studienreise im Angebot, die zu den Höhepunkten der Osttürkei führt. Auf dem Besichtigungsprogramm stehen auch Ani, der Ishak-Pascha-Palast und die Insel Achtamar. Im Doppelzimmer mit Halbpension, Flügen und Transfers kostet die Reise 1.845 Euro pro Person. studiosus.com.

■  Literatur: Orhan Pamuk: „Schnee“. Fischer Taschenbuch

 Buchtipp: Michael Bussmann, Gabriele Tröger: Türkei. Reiseführer, 912 Seiten, Michael Müller Verlag, 24,90 Euro

■  Diese taz-Reise wurde von Studiosus organisiert.

VON EDITH KRESTA

Das Polizeipräsidium von Kars war ein langes, dreistöckiges Gebäude, das sich an der Faikbey-Straße erstreckte. Diese säumten alte, steinerne Häuser, – Hinterlassenschaften reicher Russen und Armenier.

Der Schriftsteller Orhan Pamuk hat die ostanatolische Stadt Kars in seinem Roman „Schnee“ verewigt. Er zeichnet sie als rückständige, verarmte Stadt, wo sich unglückliche Kopftuchmädchen umbringen und Fundamentalisten das Theater stürmen. Sazaj Yazici, passionierter Lokalhistoriker, der im Roman als Direktor des Fernmeldeamts auftaucht, sieht das anders – bei aller Bewunderung für den großen Schriftsteller aus Istanbul, den er stundenlang persönlich gebrieft habe. „Kars ist der Westen im Osten. Die am stärksten westlich orientierte Stadt in der Osttürkei“, sagt er. „Kars ist modern, kein Ort für religiösen Fundamentalismus. Orhan Pamuk hat zu Unrecht eine sehr konservative Stadt daraus gemacht“, kritisiert er im Innenhof des in der Designermoderne angekommenen Kar’s Otel. Das gestylte Boutique Hotel war einst ein russisches Bürgerhaus mit aufwändig geschnitzten, weißen Holzbalkonen, hohen Decken und großen Fenstern. Heute ist es der Vorgriff auf eine bessere Zukunft der verloren wirkenden Stadt.

Kars liegt am östlichen Ende der Türkei und ist Schnittpunkt armenischer, georgischer, griechischer, russischer und türkischer Kultur. „Aus den Boxen dröhnt zuweilen das armenische Radioprogramm Radio Eriwan. Und in den für ostanatolische Verhältnisse enorm vielen schrägen Etablissements wird gesoffen, gesungen und gehurt“, versprechend Bussmann und Tröger in in ihrem Türkei-Reiseführer. In der Tat gibt es erstaunlich viele Bars. Geprägt hat die Stadt aber vor allem die russische Architektur Ende des 19. Jahrhunderts. Die Straßen sind breit und rechtwinklig, einige Gebäude aus der Jahrhundertwende sind stuckverziert. Kars gehörte von 1877 bis 1921 zu Russland. „Das Hotel Schneepalast war ein elegantes Beispiel russischer Ostsee-Architektur“, schreibt Orhan Pamuk und lässt seinen Protagonisten dort einchecken.

Lichtgestalt Pamuk

Den Schneepalast gibt es heute nicht mehr, im Untergeschoss des dort errichteten grauen Betonbaus befindet sich nun ein Käseladen, der große Räder des berühmten Kars-Käses gestapelt hat – die Spezialität der Region. Nuriye Burhan serviert Tee auf der Terrasse des Restaurants der privat geförderten Frauenschutzorganisation „Kamer“, oberhalb des Käseladens, gleich neben dem Kar’s Otel. Auch sie besteht darauf, dass Kars modern sei. „Hier gehen alle in die Schule, die Mädchen sogar vor den Jungs.“ Nuriye betreibt das Restaurant zusammen mit Aysel Erol. Hier speisen Beamte, Richter, Ärzte. Hierher kommen Frauen, die Hilfe suchen. „Weil sie schlecht behandelt werden oder weil sie dringend Arbeit zum Überleben brauchen“, sagt Nuriye. „Kamer“ ist für notleidende Frauen eine erste Anlaufstelle. Sie gibt konkrete Hilfe und Anschubkredite. Mittlerweile gibt es die Frauenorganisation „Kamer“ in vielen Städten Anatoliens. Auf dem Gehsteig vor dem Restaurant gehen Frauen in engen Jeans und in trendigen hohen Absätzen vorbei. Dazwischen Kopftuch-Frauen. Nuriye lüpft ihr Kopftuch. „Das trage ich nur in der Küche“, sagt sie demonstrativ.

„Sie gingen von der Markthalle der Obst - und Gemüsehändler die Kazim-Karabekir-Straße entlang, die von Läden mit Eisenwaren und Ersatzteilen gesäumt war, liefen dann vorbei an Teehäusern, in denen melancholische Arbeitslose fernsahen oder auf den fallenden Schnee blickten, und an Läden mit Molkereiprodukten, die riesige Räder von Kars-Käse ausstellten, und durchquerten in einer Viertelstunde die ganze Stadt“, schreibt Pamuk. Kars ist überschaubar. Eine trostlose Kleinstadt mit einigen verblichenen, historischen Bauten und einer Vielzahl schnell hochgezogener Mehrfamilienhäuser in Betonbauweise.

„In Pamuks Buch wird eine arme Stadt beschrieben und die Stadt ist heute tatsächlich traurig, weil sie wirtschaftlich und sozial verblüht ist“, sagt Sazaj Yazici bei der Stadtführung. Der einst blühende Handel mit der UdSSR sei mit dem Kalten Krieg zusammengebrochen, die Grenzschließung zu Armenien raubte der Stadt seit 1994 die Bedeutung einer lebendigen Grenz- und Verwaltungsstadt. „Aber die Stadt hat von Pamuk profitiert. Viele Leute kommen inzwischen hierher. Sie wollen die Stadt von Pamuk besichtigen. Gerade habe ich eine Gruppe aus Kanada zwei Tage begleitet.“

Die spanische Regierung habe 3 Millionen Dollar für Kars ausgegeben. „Wir konzipieren damit unter anderem Routen innerhalb der Stadt, die Liebhabern die Orte zeigen, wo Besucher wie Puschkin oder Pamuk weilten“, sagt Yazici. Lichtgestalten für die glanzlose Stadt. Kars ist für Touristen unspektakulär, doch es liegt an der alten Seidenstraße und dem Hippietrail der 68er Indienfahrer. Und es ist idealer Ausgangspunkt für den Besuch der verfallenen, armenischen Stadt Ani. Eine erstaunlich gut ausgebaute Straße führt zur armenischen Grenze ins 45 Kilometer entfernte Ani. Eine Geisterstadt mit herrlichem Ausblick auf die Schlucht des Flusses Akhurian und die Wachtürme des auf der anderen Flussseite angrenzenden Armenien. Türkische Grenzsoldaten bewachen die Ruinen und verkaufen gleichzeitig Ansichtskarten und Wasser. Männliche Bewohner des letzten türkischen Dorfes Ocakl bieten sich als Führer an.

Die neue Seidenstraße

Anis große Zeit, von der noch die im Jahr 1001 vollendete Kathedrale zeugt, dauerte nur kurz. Was nicht von Seldschuken, Georgiern oder Mongolen zerstört wurde, vernichtete ein Erdbeben im Jahr 1319. Doch die armenische Kultur und Bevölkerung blieb hier heimisch. Bis die türkische Regierung während des Ersten Weltkriegs fast zwei Millionen anatolische Armenier deportieren ließ. Eine Deportation, die für viele die Vernichtung bedeutete. Bis zu eineinhalb Millionen Menschen sollen ums Leben gekommen sein.

„In der Vergangenheit war der Zugang zur Stadt Ani nur mit Genehmigung möglich. Wegen der Grenznähe gab es Fotografierverbot“, sagt der Reiseführer Engin. „Seit Sommer 2005 gibt es keine Beschränkungen mehr. Es gibt eine behutsame Annäherung der beiden verfeindeten Staaten“, weiß er.

Der heimatkundige und engagierte Sazaj Yazici in Kars setzt seine ganze Hoffnung auf diese Annäherung, konkret auf die Grenzöffnung zu Armenien: „Diese bedeutet für uns die Öffnung zu Zentralasien. Für uns wird Entwicklung erst dann stattfinden, wenn Kars wieder das Tor zu Asien wird. “

Dazu trage auch die für 2012 geplante Eisenbahnlinie bei. Die Eisenbahnlinie Baku–Tiflis–Kars soll den Handel und Austausch zwischen der Türkei, Georgien und Aserbaidschan neu beleben und Kars zur Handelsdrehscheibe in der Osttürkei machen. Der Lokalhistoriker Yazici nennt die geplante Eisenbahn jetzt schon „die neue Seidenstraße“.

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