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Europa war eine Griechin

TERZO MONDO Kostas Papanastasiou ist besser bekannt als Panaiotis Sarikakis aus der „Lindenstraße“. Seit 1973 betreibt er sein Charlottenburger Restaurant Terzo Mondo, wo immer noch der Geist von 68 herrscht

Lindenstraße 25

■  Am Samstag feiert die „Lindenstraße“ ihr 25-jähriges Jubiläum. Um 23 Uhr beginnt die „Lindenstraßen-Nacht“ im Ersten mit der Sonderfolge „Was war, was ist, was wäre wenn …?“. Im Anschluss folgt die „Lindenstraße Kultnacht 2010“. Für die Sendung treffen sich Schauspieler und Politiker mit Hans W. Geißendörfer im griechischen Restaurant „Akropolis“ und versuchen gemeinsam dem Kult auf die Spur zu kommen.

VON HEINRICH DUBEL

Wenn am kommenden Samstag die Kultnacht der „Lindenstraße“ beginnt, wird es in der Taverne Terzo Mondo in der Charlottenburger Grolmanstraße wohl hoch hergehen. Das Lokal gehört Kostas Papanastasiou, bundesweit besser bekannt als „Panaiotis Sarikakis“. So hieß der Wirt des Lokals „Akropolis“ aus der ARD-Serie, die an diesem Wochenende 25-jähriges Jubiläum feiert.

Kostas Papanastasiou ist 73 Jahre alt. Das Terzo Mondo betreibt er seit 37 Jahren. Es ist wohl das letzte noch existierende Berliner Lokal, das ganz dem Geist von 1968 verpflichtet ist. Kostas Papanastasiou sitzt im Zentrum des Lokals. Alle paar Minuten klingelt das Telefon, Leute kommen und gehen, wollen ihn begrüßen oder sich verabschieden. Dabei ist er gerade mit der Erzählung einer komplexen Geschichte beschäftigt, die auf einem Missverständnis beruht: Im März besuchte der griechische Premierminister Papandreou Bundeskanzlerin Merkel in Berlin. Zur gleichen Zeit erschien ein Zeitungsartikel über Kostas, mit einem Bild, auf dem drei Arme zu sehen sind, die drei Schnapsgläser mit Ouzo in die Luft halten. Schnell ging das Gerücht, es seien die Arme von Papandreou, Merkel und Papanastasiou, die auf die Verhandlungen über Milliardenzahlungen der Bundesrepublik an Griechenland anstoßen. Tatsächlich waren es die Arme von Papanastasiou, einem Journalisten und seiner Assistentin.

Kostas griff dieses Gerücht auf und baute es in sein Programm ein, als er in diesem Jahr mit Liedern von Mikis Theodorakis durch die Republik tourte. Er erzählte die Geschichte seiner „Begegnung mit Angie“ als Parabel auf das gemeinsame Schicksal aller Europäer. Sie endet mit der Pointe, dass, wenn jeder Europäer nur zwei Euro nach Griechenland überwiese, um die Urheberschaft an dem Begriff „Europa“ abzugelten – immerhin war Europa eine Griechin – Griechenland finanziell saniert wäre.

Mit Ausdauer

Kostas Papanastasiou erzählt ruhig, mit Ausdauer. Kostas landete vor über 50 Jahren in Berlin. Er sprach nur drei Wörter Deutsch („Schwiegersohn, Schwiegermutter, Zuckerzange“), studierte schon bald Architektur und gab Nachhilfe. Schließlich wurde er von seiner Vermieterin Frau Ries, einer Wilmersdorfer Witwe, zum Schauspielstudium mehr genötigt als überredet. Sie zahlte ihm sogar die Aufnahmegebühr an der Schauspielschule. Bernhard Wicki gab ihm seine erste Rolle. Papanastasiou spielte einen „Gastarbeiter“ in „Die Eroberung der Zitadelle“, einem Film über Klassengegensätze, Arroganz und Dünkel, der 1977 den Deutschen Filmpreis gewann.

Kostas kann sich vorstellen, ins Fernsehen zurückzukehren, „als blinder Seher oder so“

Wicki hielt Hof im Terzo Mondo, in seinem Gefolge die Regisseure Volker Schlöndorff, Edgar Reitz, Alexander Kluge und Hans W. Geißendörfer, der Jahre später die Rolle eines griechischen Wirts mit einem griechischen Wirt besetzen sollte – für die erste deutsche Soap-Opera. Aus Kostas Papanastasiou wurde Panaiotis Sarikakis. Wenn Kostas von dessen Abenteuern erzählt, spricht er in der ersten Person.

Von Folge 3 bis Folge 794 war er dabei. Der Abschied kam 1995. „Sarikakis“ sammelte Spenden für in Georgien lebende Griechen (etwas, das Kostas Papanastasiou im richtigen Leben tatsächlich macht), wird beim Transport der Spenden in der Türkei verhaftet, kommt ins Gefängnis, wo er gefoltert wird. So stand es Drehbuch, so wurde es gesendet. Kostas Papanastasiou erzählt, wie es danach zu einer Welle von Drohungen gegen die „Lindenstraßen“-Macher kam. Ein türkischer Produktionsassistent musste den Wohnsitz wechseln. Angeblich kam es zu einer Anfrage des türkischen Außenministeriums, ob die „Lindenstraße“ vom griechischen Geheimdienst unterwandert sei. Die Produktion nahm „Sarikakis aus der Schusslinie“, wie Papanastasiou sagt. Seitdem „lebt er in Griechenland“.

Merkmal einer Soap-Opera ist, dass sie scheinbar keinen Anfang und kein Ende hat. Aus der Sicht der Charaktere ist es immer ein ganz normaler Tag in der Gegenwart. An der Wand des Terzo Mondo hängt seit 1977 das Filmplakat „Die Eroberung der Zitadelle“. Wieder klingelt das Telefon. Es ist Thomas Bock, Vorsitzender des Berliner „Lindenstraßen“-Fanclubs „Sonntags immer“. Er bespricht mit Kostas Papanastasiou Details zur langen Nacht der „Lindenstraße“. Kostas, inoffizieller Botschafter Griechenlands, des europäischen Miteinanders und der „Lindenstraße“, wird eine kurze Rede halten und ein Lied singen, etwas Nostalgisches. Dann werden alle Ouzo trinken und die Sondersendung schauen. Sie werden darüber reden, ob Kostas als „Panaiotis“ auf den Bildschirm zurückkehrt, was der sich gut vorstellen kann. Vielleicht „als blinder Seher oder so“. Geißendörfer jedenfalls ist nicht abgeneigt.

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