IN BOSNIEN-HERZEGOWINA LEIDEN DIE MENSCHEN AN EUROPA: Ein zerrissenes Land, verloren in Europa
ERICH RATHFELDER
Die Schüsse in der Ukraine lassen die Bosnier nicht kalt. „Mein Magen krampft sich zusammen, wenn ich nur daran denke, wie es angesichts der Kriegsgefahr jetzt den Leuten da geht“, sagt Emira. „Noch viel schlimmer ist ja alles in Syrien, aber die Ukraine liegt eben viel näher.“ Sie ist als Kind mit ihren Eltern 1992 vor den Granaten der serbischen Belagerer von Sarajevo nach Frankreich geflohen. Die 33-jährige Emina ist dort aufgewachsen, in die Schule gegangen, hat dort Sprachen studiert, ist vor einigen Jahren in ihre Heimat zurückgekehrt. Und denkt jetzt angesichts ihrer Perspektivlosigkeit in Sarajevo wieder daran, nach Frankreich zurückzugehen. „Ich habe ja einen französischen Pass.“
Europa ist für sie Zufluchtsort. Denn die Situation in Bosnien hat sich nicht wesentlich verändert. „Wir sind zu einem ethnisch geteilten Land geworden, und es sieht nicht danach aus, dass wir das schnell ändern können.“ In Europa könnte sie ein „normales Leben“ führen. „Habe ich bisher gedacht.“
Doch die Erfolge des Front National geben ihr zu denken. „In Lyon, dort wo ich aufgewachsen bin, hat es Übergriffe auf Muslime gegeben.“ Nicht dass sie religiös sei, sie sei eine Bosniakin, damit eine Europäerin, aber der auch in Frankreich um sich greifende Ausländerhass mache ihr Angst. „Die vertreten doch all das Negative wie die Nationalisten und Faschisten hier.“
Jetzt räche sich, dass Europa diese Parteien und Bewegungen in Bosnien nach dem Friedensschluss 1995 gewähren ließ. „Anstatt hart gegen diese Leute, die den Krieg verursacht und Kriegsverbrechen begangen haben, vorzugehen, hat man sie gehätschelt.“ Bis heute. „Die serbischen Aggressoren haben die Hälfte des Landes okkupiert und alle Nichtserben von dort vertrieben. Hat Europa die Werte der Toleranz und der Menschenrechte wirklich verteidigt? Nein.“ Die Nationalisten und Faschisten auf dem Balkan konnten deshalb erfolgreich sein. Letztlich habe das die Rechte in Europa sogar beflügelt.
Europa stehe nicht zu sich selbst, sagt auch Nina, eine Freundin. „Mich interessieren diese Scheißwahlen gar nicht, die Ideologie eines geeinten Europas geht an uns vorbei. Wir sind doch die Ausgeschlossenen.“ Daran werde sich auch nicht so schnell etwas ändern. Denn mit der bosnischen Verfassung, die Europa, Russland und die USA 1995 oktroyiert haben, können die Nationalisten jegliche Reform blockieren. „Europa will das nicht ändern.“ Könnte das aber. Immer noch gebe es europäische Truppen im Land, das Büro des Hohen Repräsentanten, die EU-Vertretung, die OSZE, den Europarat. „Alle sind da, aber sie tun nichts, sie schicken nur drittklassige Diplomaten, die nichts durchsetzen.“ Was sollten sie von Europa denken?
„Und schau mal in die Ukraine. Wie hilflos die Europäer dort sind. Putin kann einfach die Krim annektieren, und Europa lässt das zu. Wie in Bosnien.“ Emina und Nina sind enttäuscht. Aber sich zur Türkei orientieren wollen sie auch nicht. Diesen Sommer wollen sie nach Deutschland reisen. „Mal sehen. Es soll ja dort alles besser sein.“
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