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schaut sich in den Galerien von Berlin um

NOEMI MOLITOR

Ohne Wand kein Raum? Und was, wenn die Wand selbst zum Bildraum wird, ja der ganze Raum zum Bildträger? In den 60ern problematisierten renitente Künstler_innen die Präsentation von klar abgrenzbaren Kunstobjekten vor weißen Wänden und erklärten die Wände selbst zum Malgrund. Damit wurde nicht nur die Leinwand als einziger Farbträger abgelöst, sondern auch die dauerhafte Verfügbarkeit von Kunstwerken herausgefordert. Denn viele Wandarbeiten bleiben nur so lange sichtbar, bis sie zum Ausstellungsende wieder mit Wandfarbe überdeckt werden. Diese Kunst auf Zeit lenkt den Fokus nicht nur auf die Raumwahrnehmung, sondern vor allem auf die Sehgewohnheiten im Museum. Viele der Arbeiten, die als „Wall Works“ im Hamburger Bahnhof gezeigt werden, passen sich nicht mehr den architektonischen Vorgaben des Raumes an, sondern irritieren die Aufteilung in Wand, Decke und Boden. So Katharina Grosses „I think this is a pine tree“. Grosse hebt die räumliche Aufteilung in Wände und Fußboden optisch auf, indem sie sie samt zwei riesigen Pinienstämmen mit Primärfarben übersprüht. Wer die Bäume von Nahem sehen will, muss das antrainierte Abstandhalten zum Kunstwerk aufgeben und auf die Farbe laufen. Friederike Feldmanns Weiß auf Schwarz und Schwarz auf Weiß geschichteten Farbfelder hingegen, mit einem Mega-Pinsel aufgetragen, zeigen eine vermeintliche Handschrift, überdimensional im Raum und vollkommen unleserlich. Ein Makro-Zoom, der das Bedürfnis nach ständiger Identifizierbarkeit vor Augen führt, ohne ihm nachzugeben (Di, Mi, Fr 10–18, Do 10–20, Invalidenstr. 50-51).  Mit ihrer gemeinsamen Arbeit „successive“ haben Katja Brinkmann und Renate Wolff das Projekt Wandarbeit noch weitergetrieben und den neuen Ausstellungsraum des Deutschen Künstlerbunds in Rot, Blau und Silber getaucht. Brinkmanns wellenförmige Farbbahnen, die von Weitem aussehen wie aufgesprüht, erweisen sich beim näheren Hinsehen als akribisch aufgetragene Acrylschichten, die Weiß, Grau und Schwarz zu Silber werden lassen. Wolff wiederum hat ihre kantigen Flächen und Verbindungslinien ganz in Blau gehalten, doch die Hauptverbindung zu Brinkmann passiert über Leerstellen, also den negativen Raum. „Successive“ erfordert ein Hin- und Herlaufen unter ständigem Blickwechsel, der sich auf die unterschiedlichen Größensysteme und inkohärenten Formen einlässt. Eine Zentralperspektive des Betrachters ist damit nicht mehr möglich. Das Ausstellungserlebnis wird so zum differenzierten Sehen (bis 30. 5., Di–Fr, 14–18, Markgrafenstr. 67).

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