: Der Boxer, der zum Sandsack wurde
Dieser Kampf war schon verloren, bevor er richtig begann. Vielleicht hätten sie Axel Schulz unter einem großen Handtuch an den Ring führen und ihm vortäuschen müssen, er befände sich noch immer irgendwo in der Provinz von Florida – also dort, wo er über so viele Monate für diesen Auftritt geschuftet hatte. Weil er sich beim sogenannten Walk-in aber lediglich mit einer Kappe bedeckt hielt, konnte der 38-jährige Schwergewichtler am vorgerückten Samstagabend mühelos das imposante Szenario im vollbesetzten Stadion zu Halle in Westfalen erkennen. Und das war, wie er hinterher freimütig bekannte, einfach des Guten zu viel.
Während über den Rängen eine Coverversion von Jim Morrisons „Light my fire“ ertönte, war sein inneres Feuer im Moment der Ringbesteigung erloschen. Zigmal hatte der Gemütsmensch in den letzten Tagen den Ablauf dieses Einmarschs bei mitlaufender TV-Kamera geprobt. Und danach hatte er oft erklärt, dass seine Motivation nach siebenjähriger Pause nun viel besser sei. Das wollte anfangs auch das Publikum glauben. Doch Schulzens neue Lust wich schnell seinem alten Trauma. Die prickelnde Atmosphäre hatte bei ihm „richtig rinjeknallt“, wie er später bekannte, denn „dann merkst du, was hier auf dem Spiel steht“.
105,5 Kilo schwer und meilenweit von sich selbst entfernt, atmete der Hoffnungsträger vor dem ersten Gong bereits so schwer wie jenes Nashorn, mit dem er auf seinen Shorts für einen Fitnessdrink warb. Der Rest war unter diesen Umständen voraussehbar. Anderthalb Runden lang konnte der Brandenburger das Duell mit dem weithin unbekannten Brian Minto aus den USA halbwegs ausgeglichen gestalten. Dann brannte er ein wahres Feuerwerk an Fehlern ab. Jedes Gefühl für Distanz und Balance schien abhanden gekommen zu sein, der deutliche Reichweiten-Vorteil wurde hergeschenkt. Der Größere ließ sich vom Kleineren fast nach Belieben mit der Führhand treffen, und alle Ermahnungen aus seiner Ecke gingen in diesen Minuten nur noch an ihm vorbei. „Wie ein Sandsack“, so Ehrengast und Weltmeister Wladimir Klitschko, bewegte er sich nach einem ersten Niederschlag in Runde vier. Zwei Runden später war es dann endgültig vorbei. Der Publikumserfolg für den Privatsender, der mit seiner Inszenierung im Schnitt 11,5 Millionen TV-Zuschauer köderte, wurde für den Hauptdarsteller zum peinlichen Desaster.
Die jüngste Pleite, die ein mehrteiliges Comeback einläuten sollte, hat etwas heilsam Definitives. Gefragt, ob er künftig weiter trainieren würde, entgegnete der Ramponierte: „Ja sicher, aber bestimmt nicht Boxen.“ BERTRAM JOB
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